1. Aktuelle Situation der Rindermast in Deutschland

Die Rindermast ist wichtiger Bestandteil der landwirtschaftlichen Erzeugung in Deutschland. Eine Besonderheit ist die Vielfalt der Betriebs- und Haltungssysteme. Weitere mit der klassischen Rindermast verbundene Produktionsrichtungen wie die Mutterkuhhaltung oder die Kälbermast sind in einer gesonderten Positionierung zu behandeln.

Aktuell stehen die Rindermäster vor einer Vielzahl von Herausforderungen. Neben einer wirtschaftlich sehr angespannten Lage, in der sich eine Vielzahl von Rindermästern befindet, werden in der öffentlichen Diskussion die Einhaltung ambitionierterer Produktionsstandards gefordert, wie zum Beispiel veränderte Platzvorgaben und Außenklimareize.

In diesem Kontext haben sich in jüngster Vergangenheit verschiedene Regelwerke aus unterschiedlichen Bundesländern in Form von Richtlinien, Empfehlungen und Erlassen, verschiedenen Förderprogrammen und auch Labeln in der Praxis verbreitet. Darüber hinaus sehen sich Rindermäster durch die Haltungsformkennzeichnung des Lebensmitteleinzelhandels (LEH), die mögliche Aufnahme der Rindermast in die Initiative Tierwohl (ITW) als auch durch die sog. Borchert-Kommission vor wachsenden Anforderungen, hohen Erwartungen und Veränderungen gestellt. Höhere Produktions- und Tierwohl-Standards gibt es nicht zum Nulltarif. Der finanzielle Mehraufwand muss angemessen entlohnt werden. Insbesondere mit Blick auf einen zunehmend internationalisierten, deregulierten Markt steht fest, dass heimische Rindermäster auch weiterhin in Konkurrenz zu Rindfleischerzeugern aus der EU sowie internationalen Produzenten aus Übersee stehen werden. Die importierten Produkte sind aus preislicher Perspektive zwar konkurrenzstark, erfüllen jedoch häufig nicht die Anforderungen, die schon heute von heimischen Erzeugern eingehalten werden. Dies gilt sowohl für den Umwelt-, Tier- und Klimaschutz als auch für die geltenden Sozialstandards und umso mehr vor dem Hintergrund der aktuell diskutierten Erwartungen von Politik und Teilen der Gesellschaft an die Tierhaltung in Deutschland. Bei einer Umsetzung des geplanten EU-Mercosur-Handelsabkommens droht sich diese Situation weiter zu Lasten der hiesigen Erzeuger zu verschärfen. An dieser Stelle werden die Zielkonflikte zwischen Außenhandelspolitik und gesellschaftlicher Vorstellung zu Tierwohl und den Kosten für Tierwohlstandards offensichtlich.

Sicher ist jedoch, dass Rindermäster sich diesen Herausforderungen stellen wollen und auch zukünftig bereit sind, diese Transformationsprozesse mitzugestalten und neue Anforderungen auf ihren Betrieben umzusetzen. So hat sich die Rindermast bereits in den vergangenen Jahren stetig angepasst und weiterentwickelt. Die betroffenen Rindermäster sind den o.g. vielschichtigen Anforderungen ausgesetzt. Dabei erzeugen sie die von der Gesellschaft gewünschten hochwertigen Lebensmittel regional „vor Ort“ und leisten einen bedeutsamen Beitrag für die Entwicklung ländlicher Räume.

2. Forderungen an Politik, Wirtschaft und Wissenschaft

Weiterentwicklung bestehender Haltungssysteme unter Berücksichtigung ausreichender Übergangsfristen und einem balancierten Finanzierungskonzept

  • Bestehende Haltungssysteme benötigen einen Bestandsschutz und sollten wenn notwendig, durch praxistaugliche Maßnahmen und unter Berücksichtigung entsprechender Übergangsfristen weiterentwickelt werden können. Landwirte benötigen für diese Weiterentwicklung zwingend Planungssicherheit, welche Kriterien langfristig einzuhalten sind. Die durch Um- und Neubauten entstehenden höheren Produktionskosten sind dabei auf Erzeugerebene auszugleichen. Dafür bedarf es sowohl staatlicher Fördermöglichkeiten als auch ausfinanzierter, zukunftsfähiger Wertschöpfungsmodelle wie beispielsweise der ITW-Rindfleisch.

Eine verpflichtende Haltungs- und Herkunftskennzeichnung für Rindfleischprodukte am Markt

  • Die heimische Tierhaltung realisiert hohe Standards im Hinblick auf Produktqualität, Tierwohl und Lebensmittelsicherheit. Dies verursacht hohe Kosten, während zeitgleich Importe diese Standards unterlaufen. Um vor diesem Hintergrund Transparenz herzustellen, und so bewusste Verbraucherentscheidungen zu ermöglichen, bedarf es einer verpflichtend umgesetzten Haltungs- und Herkunftsformkennzeichnung für Rindfleischprodukte im LEH aber auch in der Gastronomie und bei Großverbrauchern. Die bestehende Herkunftskennzeichnung für frisches Rindfleisch reicht nicht aus.

Das EU-MERCOSUR-Abkommen in seiner jetzigen Form ablehnen

  • Grundsätzlich können Handelsabkommen den internationalen Warenverkehr positiv beeinflussen. Allerdings ist sicherzustellen, dass die importierten Produkte die hier geltenden Umwelt-, Klima- und Tierwohlstandards dabei nicht unterlaufen. In diesem Kontext steht das EU-MERCOSUR-Abkommen für eine fehlgeleitete Handelspolitik und wird bis zu seiner grundlegenden Neuverhandlung abgelehnt. Insbesondere bei den zu erwartenden Rindfleischimporten aus dem MERCOSUR in die EU kann ohne klar definierte Regeln für die Prozessqualität (z. B. Tierhaltungsstandards) und daran gekoppelte Vor-Ort-Audits in den Herkunftsländern keine Chancengleichheit für heimische Rindfleischerzeuger hergestellt werden.

Die Rindermast und Rindfleischerzeugung zukunftsfähig aufstellen

  • Die Weiterentwicklung bestehender Haltungssysteme muss sich am derzeitigen Stand der Landwirtschaft orientieren. Eine ambitionierte Weiterentwicklung kann nur in Kooperation mit den Landwirten vor Ort erfolgen. Für die Festlegung zukünftiger Anforderungen müssen die Gremien, die hierzu beraten, durch Experten mit Praxisbezug und insbesondere erfahrene Landwirte unterstützt werden, um machbare Schritte bei der Weiterentwicklung sicherzustellen. Zum einen müssen sämtliche Kriterien hinsichtlich Praxistauglichkeit überprüft werden, denn neue wissenschaftliche Erkenntnisse alleine reichen nicht aus, sondern müssen bezüglich erfolgreicher Umsetzung mit Praktikern diskutiert werden. Zum anderen muss jede Form der Weiterentwicklung, im Hinblick auf die sehr unterschiedlichen Ausgangssituationen in den Betrieben, Landwirten als moderne Unternehmer einen angemessenen Spielraum für kreative Lösungen zur Zielerreichung ermöglichen.

Die Initiativen der Wirtschaft müssen beim Umbau der Tierhaltung berücksichtigt werden

  • Gesetzliche Vorgaben, aber auch die Empfehlungen des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung, dürfen die wirtschaftsgetragenen Ansätze, die bereits am Markt etabliert sind und schon heute höhere Tierwohlstandards gewährleisten, nicht gefährden. Exemplarisch dafür steht die Initiative Tierwohl. Sämtliche Überlegungen zum Umbau der Tierhaltung müssen diese Systeme berücksichtigen und auf die dort aufgebauten Strukturen zurückgreifen.

Die Potentiale der Digitalisierung nutzen und durch Innovation neue Wege beschreiten

  • Durch die fortschreitende Digitalisierung eröffnen sich auch in der Rindermast neue Möglichkeiten. Beispielhaft zu nennen sind hier die Fütterung, die Bestandsführung und das allgemeine Betriebsmanagement. Diese Potentiale gilt es, aktiv zu fördern und passgenau auf die Anforderungen in der Rindermast zuzuschneiden. In diesem Zusammenhang muss der Dokumentationsaufwand für Landwirte gezielt reduziert werden. Gelingen kann dies durch den Einsatz moderner Sensortechnik und die automatische Interaktion verschiedener Datenbanken. Wichtig ist hierbei allerdings, dass die Datenhoheit beim Landwirt verbleibt.

 

Forderungen an:

Politik

Wirtschaft

Wissenschaft

1

Die Einrichtung langfristiger staatlicher Förderprogramme mit ausreichend Laufzeit und die Erarbeitung ausfinanzierter, zukunftsfähiger Wertschöpfungsmodelle für heimische Rindermäster

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2

Die Weiterentwicklung der Haltungsvorgaben sind auf wissenschaftlicher Basis zu entwickeln und haben in Zusammenarbeit mit der Praxis zu erfolgen

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3

Die Gremien, welche die zukünftigen Anforderungen für die Rindermast definieren, sind durch Experten mit Praxisbezug und erfahrenen Landwirten zu stärken und das Endergebnis muss deren Beteiligung widerspiegeln

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4

Einführung einer verpflichtenden Haltungs- und Herkunftskennzeichnung für Rindfleischprodukte im LEH, der Gastronomie und Großverbraucher

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5

Das Freihandelsabkommen der EU mit den MERCOSUR-Staaten ist bis zu einer Neuverhandlung, insbesondere mit Blick auf die einzuhaltenden Umwelt-, Klima- und Tierwohlstandards (Prozessqualität), abzulehnen

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6

Den Erhalt und die Einbindung der privatwirtschaftlichen Kennzeichnungsformen, die bereits am Markt etabliert sind und schon heute ein höheres Tierwohl gewährleisten, wie beispielsweise die ITW

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7

Bestehende Haltungssysteme benötigen einen Bestandsschutz und sollten wenn notwendig, durch praxistaugliche Maßnahmen und unter Berücksichtigung entsprechender Übergangsfristen weiterentwickelt werden können

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8

Forschungsvorhaben fördern, die auf eine praktikable Weiterentwicklung aktueller Stallsysteme abzielen

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+

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9

Die Berücksichtigung der guten fachlichen Praxis als Basis der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung und Tierhaltung sowie als Grundlage für darauf aufbauende belastbare rechtliche Vorgaben ist sicherzustellen.

+++

 

+

10

Der Einsatz moderner Techniken und Möglichkeiten der Digitalisierung ist aktiv zu fördern und zu entwickeln

++

 

+++

Legende: trifft auf den Akteur sehr stark (+++), stark (++), begrenzt (+) zu.

3. Zielkonflikte

Fehlen des wissenschaftlich-politischen Konsens gefährdet die Planungssicherheit für Landwirte

  • Zwischen den einzelnen in der Rindermast existierenden Regelwerken sind erhebliche Diskrepanzen im Anforderungsniveau festzustellen. Dies gilt insbesondere bei den geforderten Platzansprüchen für Mastrinder. Es herrscht in der Wissenschaft und Politik zurzeit große Uneinigkeit darüber, welche Anforderungen tatsächlich sinnvoll sind. Verdeutlicht wird dies durch unterschiedliche Aussagen in verschiedenen Veröffentlichungen. So empfiehlt die in der Praxis bewährte Bauschrift aus Nordrhein-Westfalen für tiergerechte aber auch ökonomisch umsetzbare Mastrinder- und Mutterkuhhaltungen ein Platzangebot von 3,1 m2/Tier für die Endmast. Der bisher nicht etablierte Zielwert des EiKoTiGer-Projekts von KTBL und Thünen-Institut liegt hingegen bei 6,0 m2/Tier und damit weit über den in der Praxis üblichen Verhältnissen für die Rindermast. Solche Kriterien sind für die Praxis auch deshalb von geringem Wert, weil deren Festlegung nicht nachvollziehbar und ohne Praxisbezug erfolgt ist.

Tierwohlniveau und Platzvorgaben

  • Veränderte Platzvorgaben in der Rindermast hängen nicht unbegrenzt mit einem höheren Tierwohlniveau zusammen. Strikte Quadratmeterzahlen sind zwar leicht zu kommunizieren, können in der Konsequenz aber am Ziel vorbeischießen. In Abhängigkeit vom Ausgangsniveau und der Rasse der Tiere wird nach Erreichen eines Grenzwertes zusätzliches Tierwohl nicht durch höhere Platzvorgaben erreicht. Dies ist stattdessen durch das betriebliche Management, wie beispielsweise Anpassungen in der Fütterung, dem Stallklima, der Gestaltung der Wasserzugänge oder Scheuermöglichkeiten, zu erzielen.

Tierwohlstandards und Konsumverhalten

  • Höhere Tierwohlstandards in der Primärproduktion werden einerseits insbesondere von Handel, Tierschützern und Teilen der Gesellschaft gefordert, andererseits in der Regel aber nicht durch ein entsprechendes Einkaufsverhalten an der Ladentheke honoriert. Aufgrund der mit einem höheren Tierwohl verbundenen, höheren Produktionskosten drohen heimische Landwirte dann weniger konkurrenzfähig gegenüber Importen aus dem EU-Binnenmarkt und Drittländern zu sein, die in den nationalen Markt liefern dürfen, die hiesigen Produktionsanforderungen aber nicht erfüllen müssen.

Flächenvorgaben und Treibhausgasemissionen

  • Veränderte Platzvorgaben für Mastrinder können nach derzeitigem wissenschaftlichen Stand auch zu veränderten klimarelevanten Emissionen führen. Der Einsatz von emissionsmindernden Maßnahmen verursacht zusätzliche Kosten, die zurzeit nicht über das Endprodukt oder Förderprogramme abgedeckt werden.

Umbaumaßnahmen und Übergangszeiträume

  • Der vielfach geäußerte Wunsch, zeitnah höhere Tierwohlstandards zu realisieren, steht im Konflikt zum Zeitbedarf und dem finanziellen Aufwand der dafür notwendigen Umbaumaßnahmen auf vielen Betrieben. Soll es in der heimischen Rindermast nicht zu einem Strukturbruch kommen, sind hier ausreichende Übergangszeiträume, die Ermöglichung einer unkomplizierten Baugenehmigung und entsprechende finanzielle Unterstützung zwingend notwendig. Andernfalls kommt es auch hier zu einem raschen Strukturwandel, charakterisiert durch die Aufgabe von vielen Betrieben. Die Tierhaltung wird zwangsläufig in das Ausland abwandern, mit der Folge, keine Einflussnahme auf die Haltungsbedingungen mehr zu haben.

4. Ausblick

Die aufgezeigten Probleme und Zielkonflikte sowie die damit verknüpften Forderungen in Richtung Politik, Wissenschaft und Wirtschaft machen deutlich, dass Rindermäster mit vielen Herausforderungen konfrontiert sind, die sie in ihrer Existenz bedrohen können. Gleichzeitig wird klar, dass Veränderungen nur dann nachhaltig zu gestalten sind, wenn Landwirte in das Zentrum aller darauf aufbauenden Lösungsansätze gerückt werden. Die von der Praxis eingebrachte Expertise muss in diesem Zusammenhang nicht nur gehört werden, sondern auch im Endergebnis Berücksichtigung finden.

Die Landwirtschaft ist dabei seit jeher durch ein Zusammenspiel von externen Reglementierungen und den daraus hervorgehenden betriebsindividuellen Lösungen gekennzeichnet. Das erfordert den entsprechenden unternehmerischen Gestaltungsspielraum für Landwirte. Andernfalls wird das gesellschaftliche Zielbild der Nutztierhaltung, welches heute durch höhere Tierwohlstandards charakterisiert ist, der hochkomplexen Rindermast die dafür wesentlichen betriebsindividuellen Lösungswege in vielen Fällen verwehren. Dadurch werden Strukturbrüche provoziert.

In Anbetracht der sich entwickelnden Debatten um die Tierhaltung in Deutschland und speziell der Rindermast skizziert die Positionierung des Berufsstandes u. a. aktuelle Konfliktpunkte. Um die Anschlussfähigkeit an die geführten Debatten in Politik, Gesellschaft und Wissenschaft zu gewährleisten, müssen sämtliche Forderungen mit einem detaillierten Blick auf die jeweilige Tierart getroffen werden. Darüber hinaus erfordern sie eine kontinuierliche Aktualisierung. Die aufgeführten Forderungen werden von Seiten des Berufsstandes mit der Erwartungshaltung einer entsprechenden Berücksichtigung in den aktuell geführten Debatten um die Weiterentwicklung der Rindermast verbunden. Gleichzeitig bieten die aufgezeigten Lösungsansätze die Chance, die deutsche Rindermast zukunftsorientiert und im Einklang mit der Gesellschaft weiterzuentwickeln.

Foto: pixabay_ Udo Voigt                                                                                                                                                  Foto: pixabay_Meli1670