Wenige Blicke in die sozialen Medien reichen für die Diagnose, dass die so genannte gesellschaftliche Diskussion über Landwirtschaft und Ernährung kaum mehr faktenbasiert und mit fachlich-sachlichen Argumenten geführt wird. Ebenso nervt das von vielen Gruppen ständig gespielte Ritual der Schuldzuweisung, die Gemeinsame Agrarpolitik sei schuld an Allem und man müsste nur die Direktzahlungen umverteilen, und dann sei alles gut.

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Bernhard Krüsken
Generalsekretär Deutscher Bauernverband
Foto: DBV / Breloer

Kampagnen und Ramschpreise

Strukturwandel wird von Auflagen und vom wirtschaftlichen Druck gemacht. Daran wird sich auch dann nichts ändern, wenn die erste Säule geschleift wird und die Mittel zu anderen „gesellschaftlich gewünschten“ Zwecken umgeleitet werden. Seit einiger Zeit läuft z.B. eine Kampagne, nach der jeder Bürger Europas die GAP mit 114 Euro pro Jahr finanziert. Man versucht dies als fürchterlich schlimmen Umstand zu vermarkten und verschweigt natürlich wichtige Größenordnungen: so hat z.B. die Bankenrettung allein Deutschland jeden Bürger rund 1.000 Euro gekostet; das jährliche pro-Kopf Steueraufkommen liegt bei knapp dem Zehnfachen. Da könnte man ja glatt auf die Idee kommen, dass die Leute mit dieser Kampagne für dumm verkauft werden sollen…. Wie auch immer: 114 Euro, davon mehr als die Hälfte für ländliche Entwicklung, Agrarumweltmaßnahmen, Junglandwirteförderung und das Greening, sind fast schon unverschämt günstig – aber die Landwirte sind Ramschpreise ja leider gewohnt.

Auf den zweiten Blick liegt der Verdacht auf der Hand, dass es sich dabei um einen Versuch interessierter Kreise handelt, auf GAP-Mittel zuzugreifen. Einige dieser Organisationen werden dabei übrigens von Teilen der Bundesregierung mit signifikanten Finanzbeiträgen unterstützt. Also: Vorsicht bei denjenigen, die sich jetzt im Lichte der Bauernproteste plötzlich als „Bauernversteher“ gerieren – die Interessenkonflikte sind noch da und müssen ausgetragen werden.

Kommunikativ – konstruktiv – kooperativ

Was muss jetzt passieren: Es braucht geeignete gemeinsame Maßnahmen, um das Thema Landwirtschaft und Ernährung wieder in einen konstruktiven gesellschaftlichen Diskurs zu bringen. Kommunikation und Information müssen dabei eine zentrale Rolle spielen. Das Aktionsprogramm Insektenschutz muss einer grundlegenden Überarbeitung unterzogen werden, die langjährige Spirale der nationalen ordnungsrechtlichen Überregulierung muss unterbrochen werden und das Gerangel zwischen EU-Kommission und Bundesregierung in Sachen Düngerecht muss beendet werden.

Digitalisierung in vollem Gang

Foto: Gerd Altmann/ pixabay.com
(Foto: Gerd Altmann/ pixabay.com)

Doch zur Digitalisierung: Ein wichtiges, aber in einiger Hinsicht überschätztes Thema. Überschätzt deshalb, weil die Digitalisierung in der Landwirtschaft schon seit Jahren in vollem Gang ist und weil die neueren Entwicklungen wie Datenintegration, Künstliche Intelligenz, autonome Systeme oder maschinelles Lernen schlicht stattfinden – mit oder ohne Politik und Gesetzgebung. Landwirtschaft ist schon deshalb längst nicht mehr ohne digitale Techniken vorstellbar. Die Hindernisse liegen zuallererst in der digitalen Infrastruktur auf dem Land. Gegen das derzeitige Trauerspiel beim Breitbandausbau ziehen Landwirte gemeinsam mit ländlichen Kommunen, Landkreisen, Handwerkern, anderen Naturnutzern und allen Akteuren im ländlichen Raum zu Felde, mit vorhandenem, aber noch ausbaufähigem Erfolg. Zur Infrastruktur gehört auch ein open data-Modell. Im Fall der Land- und Forstwirtschaft umfasst das zuerst Geo- und Wetterdaten, aber auch betriebsmittelbezogene Daten.

Systemlandschaft mit offenen Schnittstellen sollte Branchenstandard sein

(Foto:Gerd Altmann/ pixabay.com)

In der agrarpolitischen Diskussion gibt es Ideen, eine staatlich getragene Datenplattform bereitzustellen, die gleichzeitig zu Kontrollzwecken herangezogen werden kann. Abgesehen davon, dass das Konzept einer einzigen, zentralen Datenbank in einer rasant wachsenden und sich wandelnden digitalen Landschaft etwas weltfremd anmutet, zielt es nicht auf das eigentliche Problem. Das liegt in der mangelnden Vernetzungsfähigkeit einzelner digitaler Lösungen. Eine Systemlandschaft mit offenen Schnittstellen als Branchenstandard muss das Ziel sein, hier liegt die gemeinsame Aufgabe von Agrarbranche und Politik.

Digitalisierung als Schlüssel für moderne Landwirtschaft

Natürlich ist die weitere Digitalisierung ein Schlüssel für eine nachhaltige, umweltschonende ressourceneffiziente Produktionstechnik, für Transparenz und Rückverfolgbarkeit, für neue Absatzwege, für mehr Tiergesundheit und Tierwohl, für präzisere Bestandsführung, für geringeren Dünger- und Pflanzenschutzmitteleinsatz oder auch für das Biodiversitätsmanagement. Damit kann sie auch die politischen Konfliktlinien zwischen Agrar- und Umweltpolitik entschärfen und Akzeptanz bei Bürgern und Verbrauchern sicherstellen. Dieses Potenzial kann die Landwirtschaft aber nur nutzen, wenn gleichzeitig die eingangs genannten Herausforderungen bei den ordnungsrechtlichen Vorgaben gelöst werden. Neben der Infrastruktur ist das die zweite Hauptaufgabe für die Politik, mit dem Digitalisierung zum Erfolg gebracht werden kann.