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Joachim Rukwied
Präsident des Deutschen Bauernverbandes
Foto: Breloer/DBV

Ernährungssicherung ist keine Selbstverständlichkeit! Nie zuvor in der Geschichte haben Europas Bauern die Bevölkerung so zuverlässig mit sicheren, hochwertigen Lebensmitteln versorgt wie heute. Diese Sicherheit ist in Gefahr. Während auf dem G7-Gipfel über Ernährungssicherung und Versorgungskrisen in Afrika gesprochen wird und Milliarden Dollar für Getreidehilfen bereitgestellt werden, will die EU-Kommission den Anbau von Lebensmitteln in Europa deutlich einschränken. Angesichts der aktuellen weltweiten ungünstigen Entwicklung bei den Getreideernten sind die Entscheidungen der EU-Kommission, den Pflanzenschutzmitteleinsatz in der EU in Schutzgebieten zu verbieten und insgesamt pauschal um 50 Prozent zu reduzieren, nicht nachvollziehbar.

Keine Absage an den Transformationsprozess

Wir Bauern reduzieren bereits seit Jahren den Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln deutlich und wollen diesen Weg konsequent weitergehen. Wir Bauern engagieren uns beim Klimaschutz, setzen uns für Artenvielfalt ein und entwickeln das Tierwohl weiter. Aber als praktizierender Landwirt sage ich, eine Reduzierung um 50 Prozent beim Pflanzenschutz wird zu einem signifikanten Ertragsrückgang und auch zu Qualitätsminderungen führen. Damit gefährden wir die zuverlässige Versorgung der Bevölkerung mit sicheren und gesunden Lebensmitteln.

Um es noch deutlicher zu sagen, man muss den Eindruck gewinnen, als habe die Kommission in ihren Brüsseler Glaspalästen den Schuss schlichtweg noch nicht gehört. Diese Politik braucht dringend eine Korrektur. Wir müssen auch unserer ethisch-moralischen Verpflichtung gerecht werden, unseren Teil zur Ernährungssicherung in Deutschland, in Europa und auch weltweit beizutragen. Unser globaler Anteil ist zwar vergleichsweise gering, aber was die EU-Kommission jetzt auf den Weg bringen will, würde dazu führen, dass unsere Eigenversorgung in Europa erheblich zurückgehen und der Importbedarf deutlich ansteigen würde – und dass wir am Ende den Ärmsten der Armen ihre Lebensmittel wegkaufen würden. Das ist keine verantwortungsvolle Politik.

Warum nur will man in Sachen Landwirtschaft an diesen fachlich und wissenschaftlich längst überholten Ideologien festhalten? Für mich ist jetzt die Zeitenwende auch in der Europäischen Agrarpolitik dringend geboten.

Eine weitere Entwicklung macht uns große Sorgen. Um sichere und stabile Ernten zu gewährleisten, ist die Verfügbarkeit von Düngemitteln essentiell. Nach dem Ausrufen der zweiten Alarmstufe bei der Gasversorgung wird die Frage immer drängender, ob für unsere Branche ausreichend Gas zur Verfügung stehen wird. Wir brauchen Gas für die Erzeugung von Stickstoffdünger, die zentrale Säule, um unsere Erträge stabil halten zu können. Sollte dieser nur noch eingeschränkt verfügbar sein oder gänzlich wegfallen, würden die Ernteerträge wohl um 30-40 Prozent einbrechen. Ohne diesen wichtigen Dünger ist auch die eigene Versorgung der Menschen in Europa nicht mehr selbstverständlich. Das beunruhigt mich sehr.

Darüber hinaus ist auch der gesamte vor- und nachgelagerte Bereich existentiell auf Gas angewiesen. Die gesamte Ernährungswirtschaft und damit die Lebensmittelversorgung ist abhängig von Gas, wie beispielsweise Molkereien oder Zuckerfabriken. Ohne Gas keine Milch, keine Butter, kein Joghurt. Wir können die politische Forderung nach einer Priorisierung beim Gas für den Landwirtschafts- und Ernährungssektor nur noch einmal unterstreichen.

Die Landwirtschaft könnte hier selbst ein Stück zur Entlastung beitragen und über die Biomasse einen echten Beitrag leisten, in dem auch sie Biogas in die Gasnetze einspeist. Dafür müsste man lediglich die 2014 eingeführte Höchstbemessungsleistung und die Deckelung der Gesamtkapazität beim Biogas öffnen. So könnte man mit Erneuerbaren Energien Gas und Strom erzeugen und müsste nicht auf wesentlich umweltschädlichere Techniken wie auf Fracking-Gas zurückgreifen.

In einigen Bereichen hat die Politik ihren Kurs gravierend geändert: Die Außenpolitik wurde verändert, die Verteidigungspolitik wurde verändert, die Energiepolitik wurde verändert. Leider, und in dem Bereich wäre es mindestens genauso notwendig, hat es bei der Landwirtschaft noch keine Kurskorrektur gegeben, obwohl es um unsere Lebensmittel geht.

Auch die nationale Ausgestaltung der Gemeinsamen Agrarpolitik GAP macht uns, mit Blick auf die Versorgungsicherung aber auch angesichts der knappen Zeit, große Sorgen. Wir Bauern beginnen bereits jetzt, während der laufenden Ernte, mit der Anbauplanung für das kommende Jahr. Daher drängt die Zeit erheblich. Wir brauchen Planungssicherheit und müssen wissen, ob wir beispielsweise Weizen auf Weizen anbauen dürfen. Es geht um die Frage der sogenannten Konditionalität. Hier sage ich in aller Deutlichkeit: Die Agrarministerkonferenz muss sich jetzt noch einmal mit dem Thema beschäftigen. Wenn wir hier keine zügige Entscheidung erhalten und die Vorgaben bekommen, muss die GAP noch einmal um ein Jahr geschoben und die jetzige Periode verlängert werden.

Bei der Diskussion um nicht-produktive Flächen fehlt mir mittlerweile jegliches Verständnis für die Blockadehaltung der Politik. Es ist nicht zu verstehen, warum wir Bauern auf einem Teil der nicht-produktiven Flächen keine Lebensmittel anbauen dürfen. Dabei geht es nicht um vier Prozent der Flächen, die in diesem Zusammenhang diskutiert werden, sondern maximal um etwa zwei Prozent. Der andere Teil wird weiterhin für Blühstreifen oder Uferrandstreifen genutzt werden. Es geht hier lediglich um rund 200.000 Hektar auf denen etwa 1,4 Millionen Tonnen Weizen erzeugt werden könnten. Hier könnten wir kurzfristig die Weltgemeinschaft mit dem Anbau von Getreide unterstützen. Dass sich die Politik so vehement gegen unser Angebot wehrt, ist schlichtweg nicht mehr nachzuvollziehen. Auch hier brauchen wir jetzt eine Nachjustierung im Sinne der Ernährungssicherung, unter Berücksichtigung von Klimaschutz und Biodiversität.