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Udo Hemmerling
stellvertretender Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes
Foto: DBV/Breloer

Und nach anfänglicher Skepsis scheinen sich die ukrainische wie die russische Seite tatsächlich an die von der Türkei vermittelte Abmachung zu halten. Zusammen mit reaktivierten Donau-Häfen und einer in Gang gesetzten Bahn-Logistik hat dies angesichts einer mehr oder weniger durchschnittlichen Getreideernte auf der Nordhalbkugel zu einer Kappung der Preisspitzen geführt. Auch Deutschland meldet bei Wintergetreide und Winterraps eine durchschnittliche Ernte. Anders wiederum ist die Lage bei den Sommerkulturen und im Futterbau, wo die Sommertrockenheit ihre Spuren hinterlässt. Gleichwohl scheinen die Preisspitzen vom Frühjahr momentan schon wieder weit entfernt zu sein. Damit richtet sich der Blick bereits jetzt auf die Saison 2023. Die kritischen Punkte sind hier die Verfügbarkeit von Düngung und Pflanzenschutz sowie die Regeln für die GAP-Förderung.

Agrarminister Özdemir reagiert auf die Krisensituation
Der bisher eher abwartend auftretende Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir konnte sich einer kritischen Debatte um Versorgungssicherheit nicht entziehen. Seine Entscheidung für eine Aussetzung bzw. Modifikation der Förderregeln für Fruchtwechsel und Ackerbrachen fiel zwar sehr spät, aber sie zeigt doch einen Pragmatismus, auf die kriegsbedingten Knappheiten zu reagieren. Auf dem gleichen Fuß folgt jedoch ein gewisser „grüner“ Bürokratismus: Denn die Ackerbrachen der Jahre 2021 und 2022 sollen im GAP-Antrag gewissermaßen „festgetackert“ werden, was für die betroffenen Landwirte schwer akzeptabel ist, weil es eine nachträgliche Beschränkung ist.

Panik am Gas- und Strommarkt
An den Energiemärkten spitzen sich die Preise für Gas und Strom weiter zu. Die immer weiter reduzierten russischen Gaslieferungen sorgen an den Terminmärkten für den kommenden Winter für große Nervosität, ja Angst und Panik. Diese ist dann Ende August weiter auf den Strommarkt übergesprungen. Vergleichsweise moderat ist dagegen die Preisentwicklung bei Heizöl und Diesel. Preistreibend bei Erdgas wirkt momentan auch die Verpflichtung zur frühzeitigen Auffüllung der Erdgasspeicher. Der Bundeswirtschaftsminister versucht, so lange wie möglich eine Steuerung des Erdgases über die Marktkräfte aufrechtzuerhalten. Eine Zuteilung von Gasmengen über die Bundesnetzagentur ist tatsächlich nur „ultima ratio“, auch wenn Medienberichte einen anderen Eindruck erwecken. Außerdem wird die Bundesnetzagentur eine Auktionsplattform einrichten, auf der Industrieunternehmen nicht benötigte Gasvertragsmengen gegen Entgelt stilllegen bzw. abgeben können

Stickstoffdünger frühzeitig ordern
Dass gerade Düngemittelhersteller bei diesen hohen Gaspreisen ihre Produktion drosseln oder stilllegen werden, lässt sich ausrechnen. Nach Schätzungen des Marktberichterstatters Argus liegen die Herstellungskosten von Stickstoffdüngern in Mitteleuropa derzeit 50 bis 100 Prozent über denen in Nordafrika, Arabien und Nordamerika. Damit zeichnet sich eine massive Importbewegung von Stickstoffdüngern nach Europa ab. Landwirte werden die Düngemittel wohl oder übel frühzeitig und zu relativ hohen Preisen beim Handel ordern müssen, damit die benötigten Mengen nach dem Winter tatsächlich auf dem Hof sind.

Gedrückte Kaufkraft sorgt für sparsamen Lebensmitteleinkauf
Volkswirte rechnen vor, dass die gesamtwirtschaftliche Rechnung für Gas und Strom, bezogen auf das Volkseinkommen, drastisch steigen wird. Diese Schwächung der Massenkaufkraft trifft bereits jetzt den Lebensmittelmarkt. Vor allem höherpreisige Segmente wie Biolebensmittel melden Umsatzeinbußen von etwa 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Ein solcher Konjunkturknick wird sehr schnell negativ auf die Erzeugerstufe zurückwirken. Deswegen liegen staatliche Hilfen an einkommensschwache Haushalte durchaus auch im Interesse der Landwirte. Es geht darum, einen zu starken Nachfrageknick bei Lebensmitteln zu vermeiden.

Debatten um Gasumlage, Strompreisbremse und Übergewinn-Abschöpfung
Innerhalb und außerhalb der Ampelkoalition wachsen Kritik und Zweifel an der von der Bundesregierung geplanten Konstruktion aus Gasumlage, Mehrwertsteuersenkung und weiteren noch streitigen Hilfen für sozial Bedürftige. Hinzu kommt noch die Forderung der FDP nach Abbau der „kalten“ Steuerprogression. Auch die Verteilung der Gasumlage an nicht systemrelevante und nicht insolvenzgefährdete Gashändler hat noch viele Ungereimtheiten. Selbst Biomethan soll mit der Gasumlage belegt werden, was völlig ungerechtfertigt ist. Die CDU und verschiedene renommierte Wirtschaftswissenschaftler lehnen die Gasumlage generell ab und schlagen einen Preisdeckel für einen Basisverbrauch der privaten Haushalte vor, der dann direkt vom Bund subventioniert wird. Ein hektischer Schwenk der Berliner Ampelkoalition von der Gasumlage auf einen Höchstpreis für Haushaltskontingente erscheint durchaus möglich. Selbst eine „Übergewinnsteuer“ bzw. Umsatzabschöpfung im Energiesektor wird offenbar ernsthaft diskutiert. Und eine Debatte über Preisbildung und Preisdeckelung am Strommarkt hat ebenfalls eingesetzt. Hoffentlich führt das nicht zu Eingriffen in den Markt, die die Probleme noch verschärfen.

Fazit: Die Energielücke ist da! Geht die Wettbewerbsfähigkeit verloren?
Was bedeuten diese krisenhaften Markt- und Politikentwicklungen nun für die Landwirte? Erstens hat Deutschland eine Energielücke. Vor allem bei Strom und Wärme. Im Zuge der Energiekostenlawine verlieren weite Teile der energieintensiven Industrie in Westeuropa also momentan ihre Wettbewerbsfähigkeit. Diese Belastung der wirtschaftlichen Leistungskraft Deutschlands läuft parallel zur Bedrohung der heimischen Lebensmittelproduktion durch Einbrüche in der Tierhaltung und bei Sonderkulturen. Diese Energie- und Wettbewerbslücke wird nach dem kommenden Winter nicht wieder verschwinden, sondern sicherlich einige Jahre, bis zum Ende des Jahrzehnts, andauern. Das macht es auch für Landwirte drängend, nach Einsparungen und Anpassungen beim Energieverbrauch zu suchen. Naheliegend ist vor allem der weitere Umstieg auf Eigennutzungskonzepte für Photovoltaik sowie die Bioenergie-Nutzung auf den Betrieben. Und eine weitere Möglichkeit ist die unternehmerische Investition in die Erzeugung erneuerbarer Energien als Betriebszweig. Damit lassen sich momentan höhere Renditen erzielen, als das EEG jemals versprechen konnte.

Aktuelle Trends bei den Rohstoffpreisen im Juli 2022 
– im Vergleich zum Vormonat –

  • Anstieg des Gesamtindex der Rohstoffpreise um 2 Prozent gegenüber dem Vormonat (plus 63 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat Juli 2021)
  • Erdgaspreis plus 30 Prozent
  • Rohölpreis minus 11 Prozent
  • Agrarrohstoffe/Nahrungsmittel minus 10 Prozent, darunter Getreide minus 15 Prozent
  • Industrierohstoffe minus 12 Prozent, darunter Eisenerz und Stahlschrott minus 12 Prozent
DBV fordert allgemeine Aussetzung der Zölle auf Düngemittelimporte
Zur Dämpfung des hohen Preisanstiegs bei Stickstoff-Düngemitteln hat die EU-Kommission am 20. Juli einen Vorschlag zur Aussetzung der Zölle auf Ammoniak und Harnstoff vorgelegt. Diese betragen derzeit 5,5 bzw. 6,5 Prozent. Die Mineraldüngerherstellung ist bekanntlich auf Erdgas angewiesen. Die hohen Gaspreise haben bereits zur Drosselung der Düngemittelproduktion in Mitteleuropa geführt. Damit wird die hiesige Landwirtschaft künftig deutlich mehr Importe an Stickstoffdünger benötigen. Der Vorschlag der EU-Kommission zur Aussetzung der Importzölle umfasst aber nur Harnstoff und Ammoniak. Der DBV fordert, dies auf alle Stickstoffdünger zu erweitern. Die Zölle müssen auch für handelsübliche Stickstoff-Mischdünger ausgesetzt werden, wie Kalkammonsalpeter, Diammonphosphat und NPK-Dünger. Dies fordert der Deutsche Bauernverband im Verbund mit dem EU-Bauernverband Copa. Der EU-Handelsministerrat wird darüber im Herbst 2022 entscheiden. Eine preisliche Entlastung der EU-Landwirte bei Düngemitteln ist dringend nötig.