Autor
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Bernhard Krüsken
Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes
Foto: Breloer/DBV

Unternehmen am Standort Deutschland haben einiges zu bewältigen: Energiewende und Transformation, Dekarbonisierung, Fachkräftemangel, Digitalisierung, Mindestlöhne und höhere Standards in allen Bereichen. Auch um die globale Gerechtigkeit in allen Facetten hat man sich nach dem Willen des Gesetzgebers zu kümmern und in der Lieferkette Sorgfaltspflicht walten zu lassen. Gleichzeitig wächst der Berg an neuen Vorschriften, Hürden und bürokratischen Prozeduren, die zur Bewältigung der Aufgaben und für Investitionen in die Transformation von den Unternehmen abgearbeitet werden müssen. Die Folgen kann jeder sehen: „Deutschland-Geschwindigkeit“ findet allenfalls punktuell statt, weil die Politik in vielen Bereichen gleichzeitig auf Gaspedal und Bremse tritt. Abhängigkeiten von anderen Industriestandorten verstärken sich und Schlüsselindustrien (darunter vor allem die für Energiewende und Transformation) wachsen anderswo oder wandern ab. Deutschland bleibt trotzdem Exportweltmeister, nicht mit Produkten, sondern dafür gleich mit der ganzen Produktion.

Tierhaltung: Perspektive gesucht
Landwirten und vor allem den Tierhaltern kommt dieses volkswirtschaftliche Abstiegsszenario bekannt vor, ist doch hier eine vergleichbare Entwicklung seit längerem in Gang. Die Sorge ist nicht neu; Tierhalter vermissen seit Jahren eine konsistente Nutztierstrategie, mit der höhere Standards umgesetzt werden können, ohne diese gleichzeitig mit der Auslagerung der Erzeugung an andere europäische Standorte (mit natürlich niedrigeren Standards) zu unterlaufen. Analysen, Vorschläge und Forderungen haben wir daher zum Schwerpunkt dieser dbk-Ausgabe gemacht. Mit dem aktuellen Gesetzespaket rund um die Tierhaltungskennzeichnung versucht die Bundesregierung kleine Schritte in diese Richtung, die aber von einem schlüssigen Gesamtkonzept noch ziemlich weit entfernt sind. Welche Leitplanken müssen nun mit diesem Paket gesetzt werden:

  • Ohne ein schlüssiges Gesamtkonzept geht es nicht bzw. wird der Substanzabbau weitergehen. Der vielbeschworene „Umbau der Tierhaltung“ muss auf drei Säulen stehen: Haltungsform- und Herkunftskennzeichnung für tierische Erzeugnisse, ein Tierwohlvorrang im Bau-, Immissionsschutz- und Umweltrecht sowie ein Finanzierungsmodell, um mehr Tierwohl dort zu honorieren, wo es „gemacht wird“, d. h. beim Landwirt.
  • Bau- und BImschG-Genehmigungen sind die erste und wichtigste Voraussetzung. Die Flexibilisierung im Baurecht scheint auf dem Weg, aber es hakt bei der TA Luft. Ohne so etwas wie eine Tierwohl-Verbesserungsgenehmigung wird die TA Luft zur Tierwohlbremse. Hier haben Bund und Länder bzw. die Agrar- und die Umweltministerkonferenz eine enorme Verantwortung.
  • Der Vorschlag einer Tierwohlprämie und deren Finanzierung, den das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung gemacht hat, ist konzeptionell absolut überzeugend, hat es aber derzeit haushaltspolitisch schwer. Deshalb braucht es hierfür mehrere Komponenten; staatliche Tierwohlprämien, Investitionsförderung und einen Beitrag aus der Wertschöpfungskette bzw. über den Markt. Deshalb ist es für die Finanzierung höherer Standards elementar wichtig, dass die etablierten privatwirtschaftlichen Kennzeichnungssysteme weiterarbeiten und entsprechende Tierwohlentgelte für die Landwirtschaft bereitstellen können.
  • Die Haltungsformkennzeichnung ist derzeit praktisch nicht verpflichtend. Deshalb müssen die Lücken schnell geschlossen werden.
  • Wer den flächendeckenden Umbau will und höhere Tierwohlstufen außerhalb der Marktnische anstrebt, muss das Förderkonzept konsequent auf Vollerwerbsbetriebe ausrichten. Tierwohlentgelte und Lieferbeziehungen absichern Die noch vorhandenen Mängel sollten dennoch kein Grund sein, auf die Bremse zu treten und das Paket im Grundsatz in Frage zu stellen. Vielmehr muss es jetzt zügig umgesetzt, ergänzt und nachgerüstet werden. Soweit die Hausaufgabe für die Politik. Für eine umfassenden Strategie müssen Tierhalter und Marktpartner aber auch etwas beisteuern: Zum einen mehr gemeinsame Kommunikation und gemeinsames Marketing, die Milch macht es vor. Zum anderen braucht es andere Geschäftsmodelle in der Kette, was die Verlässlichkeit und Langfristigkeit von Tierwohlentgelten und Lieferbeziehungen angeht. Das gilt für Tierwohlprämien und Aufschläge in der Vermarktung.

Wolf macht blau
Noch ein Wort zum Thema Wolf. Nach dem DBV-Wolfsgipfel mit klaren Botschaften aus der wirklichen Welt mit rasant wachsendem Wolfsbestand und eskalierenden Problemen betreibt die Naturschutzseite Vogel-Strauß-Politik und verharrt in der Blockade notwendiger und überfälliger Korrekturen des Bestandsmanagements. Berichte aus den besonders betroffenen Regionen zeigen, dass nicht nur Herdenschutz nicht ausreicht, sondern selbst die Entnahme von zweifelsfrei identifizierten Problemwölfen schlicht nicht machbar ist – aufgrund von weltfremden, komplizierten und absurden Detailregelungen im Naturschutzrecht. Diese bestehenden Vorschriften, wie auch die gesamte derzeitige Wolfspolitik waren für eine Lage mit einem gefährdeten Kleinstbestand von wenigen Dutzend Tieren gemacht, führen aber bei einer Zahl von weit über 2.000 Wölfen ins Chaos. Darüber darf und muss gestritten werden. Die Fakten und Probleme liegen seit einigen Jahren auf dem Tisch, die wiederholende Diskussion ist mühsam und eine Zumutung für die Betroffenen. Der eigentliche und wirkliche Skandal besteht aber in etwas anderem: in der kalkulierten und vorgetäuschten Ignoranz, in der Dialogverweigerung seitens der Naturschutzpolitik und im öffentlich zelebrierten Nicht-zur Kenntnis-Nehmen der offensichtlichen Fehlentwicklung. Das Bundesumweltministerium hielt es noch nicht einmal für nötig, sich beim Wolfsgipfel der Diskussion mit Weidetierhaltern, Wissenschaftlern, Landräten und EU-Vertretern zu stellen. Mancher mag das als eine Methode empfinden, den Betroffenen den ausgestreckten Mittelfinger zu zeigen. Wer so offensichtliche Probleme leugnet, muss sich nicht wundern, wenn es mehr als emotional zugeht und das Thema ein gefundenes Fressen für radikale Kräfte wird. Politikverdrossenheit hat auch andere Gründe, aber der Umgang mit dem Wolf ist in den besonders betroffenen Regionen einer davon. Der Wolf könnte also durchaus noch eine ganz andere Karriere vor sich haben: als Hilfs-Blaumacher der politischen Landkarte. Das darf sich dann das Umweltministerium als besonderen und zweifelhaften Verdienst anrechnen.