Wer in diesem Sommer durch die Medienlandschaft surfte, gewann den Eindruck, dass der Klimawandel scheinbar die Entdeckung des Jahres ist. Mit gespielter Überraschung und Entsetzen wird das nachhaltige Überschreiten der 40-Grad-Marke so kommentiert und kolportiert, als hätte es die Diskussionen und Prognosen der zurückliegenden Jahre nie gegeben. Dafür ist die öffentliche Reaktion umso entschlossener: Haltung zeigen ist wichtig – Fridays for future, Flug- und SUV-shaming, Pseudofleisch kaufen, „Klimanotstand“ ausrufen und so weiter.

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Bernhard Krüsken
Generalsekretär Deutscher Bauernverband
Foto: DBV / Breloer

Handeln und Umsetzen sind gefragt

Mit dem Handeln und dem Umsetzen wird es dann schon deutlich schwieriger. Demo in den Ferien – Flugreise schon gebucht. Mal die opulente Straßenbeleuchtung runterdimmen oder öffentliche Gebäude etwas weniger üppig beheizen – irgendeine Vorschrift spricht bestimmt dagegen. Komfortreduktion bei Mobilität und Tourismus – die Bahn ist doch so teuer. Das sind die kleinen Dinge, die die Klimadebatte beherrschen und die den großen psychologischen Vorteil haben, dass sie nur kleine Lebens- oder Wirtschaftsbereiche, in der Regel nicht die eigenen, betreffen. Sie haben gleichzeitig hohen Symbolwert und nur marginalen Einfluss auf das erdrückende Volumen der THG-Emissionen. Fleisch-Bashing ist schick, aber nutzlos und lenkt von der eigentlichen Herausforderung ab. Streng genommen ist das alles eher Ausweis von Hilflosigkeit als von Entschlossenheit.

Foto: Bruno Glätsch / Pixabay.com
(Foto: Bruno Glätsch / Pixabay.com)

Folgt man den Klimaforschern und dem IPCC, ist die öffentliche Diskussion in der Breite bei den wirklichen Einschnitten noch gar nicht angekommen, weil sie brutal sind: Industrie umbauen (oder abbauen, je nach Sichtweise), anders wohnen und leben, Konsum und Mobilität insgesamt reduzieren. Bitte die Überschrift nicht falsch verstehen: Klimahysterie ist durchaus angebracht, nur darf sie sich nicht in folgenloser Symbolik, in kleinen Übersprunghandlungen und kurzlebigem „Brennpunkt-im-Sommerloch“-Aktionismus erschöpfen.

Landwirtschaft ist Hauptbetroffene und Teil der Lösung beim Klimawandel

Foto: DBV
(Foto: DBV)

Unterdessen sind die Landwirte jeden Tag und sehr real mit Klimawandel konfrontiert und müssen damit umgehen, und das nicht erst seit dem Dürresommer 2018. Unsere Branche spürt den Wandel seit langem und kann ihn sehr präzise beschreiben. Es ist die Land- und Forstwirtschaft, die die Folgen des Klimawandels bewältigen muss. Das ist unstreitig etwas mehr als das, was viele Akteure in der Klimadiskussion mitbekommen oder leisten müssen. Die Landwirtschaft ist Teil der Lösung und kann ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten. Aber die Rahmenbedingungen müssen stimmen und das möglich machen; alle Ansatzpunkte sind in der DBV-Klimastrategie beschrieben.

Wie geht es mit der Tierhaltung weiter?

Fast schon in den Hintergrund geraten ist die für die Landwirtschaft genauso wichtige Frage, wie es mit der Tierhaltung weitergeht. Das Bundesministerium hat mit einem „Kompetenznetzwerk“ einen weiteren Anlauf gestartet, um in Sachen Nutztierstrategie weiter zu kommen. Keine Frage, Landwirte sind gerade in der Tierhaltung offen für Veränderungen und Weiterentwicklungen, erwarten dabei aber Planbarkeit und Verlässlichkeit. Die bisher aus der Tierhaltungsdebatte entstandenen runden Tische, Nutztierhaltungspläne, Strategiediskussionen und -papiere sowie verschiedene auf den Weg gebrachte gesetzliche Änderungen haben dies bisher sämtlich nicht erreichen können. Im Gegenteil, man hat eher Eindruck eines zunehmenden Aktionismus als den einer zielgerichteten, abgestimmten und strategischen Vorgehensweise. Wesentliches Defizit dieser Debatten lag darin, die Mechanismen des Marktes, der Nachfrage und des europäischen Wettbewerbs nicht zu berücksichtigen.

Wettbewerbsnachteile für heimische Tierhalter verhindern

Alle diskutierten Szenarien für einen Umbau der Tierhaltung lassen ein Regelungsgefälle zwischen Deutschland und anderen EU-Mitgliedstaaten und damit einen gravierenden Wettbewerbsnachteil für die deutschen Erzeuger entstehen. Das gilt natürlich auch in Richtung Drittland. Die gerade erfolgte Grundsatzeinigung zum Mercosur-Abkommen ist ein Paradebeispiel für den eklatanten Widerspruch zwischen handelspolitischen Vorgaben und der Diskussion über Tierhaltung. Die gesellschaftliche und politische Forderung nach höheren Standards und mehr Tierwohl wird durch den Agrarteil dieses Abkommens diskreditiert und unglaubwürdig.

Haltungs- und Herkunftskennzeichnung unverzichtbar

Foto: liggraphy / Pixabay.com
(Foto: liggraphy / Pixabay.com)

Ein Export der Tierhaltung ist weder im Sinne des Tierschutzes noch im Interesse der deutschen Tierhalter. Im europäischen Binnenmarkt kommen Einfuhrbeschränkungen nicht in Frage. Eine Anhebung des europäischen gesetzlichen Standards wäre der Königsweg, ist aber nicht in Sicht. Um mit diesem Dilemma umgehen zu können, ist es mindestens erforderlich, die unterschiedlichen Standards flächendeckend und verbindlich zu kennzeichnen. Nur so können Marktpartner, Verbraucher und andere ein gemeinsames Zielbild für die Tierhaltung auf der Nachfrageseite umsetzen. Für alle Tierarten, insbesondere aber für Schweine- und Rindfleisch ist eine weitere Voraussetzung die zwingende Einbeziehung von Verarbeitungserzeugnissen, Fleischwaren und der Segmente Gastronomie/Großverbraucher. Gerade in diesen Bereichen ist das Ausweichen der Nachfrage auf preisgünstige Erzeugnisse aus Regionen mit anderen Wettbewerbsbedingungen sonst vorprogrammiert.

Diese Logik des europäischen Marktes ist keine neue Erkenntnis. Dem muss sich aber auch die vom Bundeslandwirtschaftsministerium auf den Weg gebrachte Tierwohlkennzeichnung stellen. Der Weg einer Kennzeichnung auf freiwilliger Basis kann nur ein vorübergehender Zwischenschritt sein und muss zügig und zeitnah in eine verpflichtende und flächendeckende Kennzeichnung weiterentwickelt werden.  Dies muss mit einer verpflichtenden Herkunftskennzeichnung flankiert und verbunden werden. Andere EU-Mitgliedstaaten zeigen, dass dieser Weg durchaus gangbar ist und mit europäischem Recht in Einklang gebracht werden kann.

Verbindliche Nutztierstrategie für alle Akteure

Was muss eine Nutztierstrategie beinhalten, damit sie nicht als Protokollnotiz einer ergebnislosen Diskussion zwischen widerstreitenden Gruppen endet?

  1. Ohne ein gemeinsames und für alle Akteure verbindliches Zielbild für die Nutztierhaltung in Deutschland geht es grundsätzlich nicht. Ein Wunschbild reicht nicht, sondern es muss auch eine gegenseitige Verbindlichkeit bei der Umsetzung im Markt - auf der Angebots- und der Nachfrageseite – geben, genauso wie politische und gesetzgeberische Verlässlichkeit.
  2. Kennzeichnung und Transparenz. Haltungsform und Herkunft müssen für Verbraucher und Verarbeiter auch über die Premiumstufe hinaus erkennbar sein. Nicht nur die Erzeugung, sondern auch Märkte und Nachfrage müssen in die Veränderung einbezogen werden; umfassende Kennzeichnung ist der Schlüssel dazu.
  3. Investitionsförderung und Finanzierung. Die Nutztierhaltung darf nicht vom Markt abgekoppelt werden. Ohne die Einbeziehung von Marktpartnern und Verbrauchern, ohne tatsächliche Nachfrage kann keine nachhaltige Finanzierung dieses Prozesses gewährleistet werden.
  4. Ordnungsrecht abrüsten, Vorfahrt für mehr Tierwohl im Bau- und Genehmigungsrecht. Weiterentwicklung und Umbau können nur dann gelingen, wenn die derzeitigen Blockaden im Planungs-, Bau- und Genehmigungsrecht beseitigt werden.