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Bernhard Krüsken
Generalsekretär Deutscher Bauernverband
Foto: DBV Breloer

Kein Grund, sich öffentlich zurückzulehnen, sondern ganz im Gegenteil: Wir stehen in besonderer Verantwortung für Versorgung und Lebensmittelerzeugung, für intakte Lieferketten und letztlich für das Funktionieren einer Industriegesellschaft unter den Bedingungen der Pandemie-Wirtschaft. Das nennt man systemrelevant. Ein Lockdown ist für Landwirte keine Option.

Sofortprogramm auf drei Säulen

Landwirtschaft muss arbeitsfähig bleiben – das ist die Ansage in Richtung Politik und Gesellschaft. Das Sofortprogramm dafür steht auf drei Säulen:

1. Selbstschutz der Betriebe und ihrer Mitarbeiter in Verbindung mit pragmatischen Quarantänebestimmungen für den Verdachtsfall. Die Versorgung der Tierbestände und betriebsnotwendige Arbeiten müssen auch unter Quarantäne möglich bleiben.

2. Unterstützung der kurzfristig wirtschaftlich besonders betroffenen Betriebe, darunter Sonderkulturen und Urlaub auf dem Bauernhof. Hier stehen mittlerweile Liquiditätshilfen zur Verfügung, die über die Rentenbank oder die KfW bereitgestellt werden. Die Kombination von Krediten und Förderung sowie der Zugang von Landwirten zur Soforthilfe für kleine Unternehmen und Solo-Selbständige sind Punkte, die der DBV erfolgreich durchsetzen konnte.

3. Eine Lösung für Erntehelfer und Saison-Arbeitskräfte, die von den Kontakt- und Reiseverboten erfasst sind bzw. erfasst waren.

Ein echter Erfolg von Verbandsarbeit

Die Landwirtschaft muss arbeitsfähig bleiben - auch in der Krise.

(Foto: Mathias Beckmann/ pixabay)

Der DBV konnte gemeinsam mit dem Landwirtschafts- und dem Innenministerium dieses enorme Problem für unsere Betriebe lösen: der Einreisestopp für Saison-Arbeitskräfte wurde gelockert; über das Anmeldeportal saisonarbeit2020.bauernverband.de wird die Einreise (unter Auflagen) der Arbeitskräfte für die Monate April und Mai 2020 wieder möglich. An dieser Stelle muss man nicht betonen, dass ohne diese Lösung der gesamte Sonderkulturbereich nicht arbeitsfähig gewesen wäre, mit allen Konsequenzen für die Versorgung mit Obst und Gemüse in den kommenden Monaten. Das ist ein echter Erfolg von Verbandsarbeit. Es gibt auch Dinge, die man nur ohne Demonstrationen und Schlepperkonvois lösen kann.

Strikte Einhaltung der Infektionsschutzauflagen ist Gebot der Stunde

Die Einreisemöglichkeit ist an Voraussetzungen gebunden.Dazu gehören eine Begrenzung der Gesamtzahl einreisender Arbeitskräfte und deutlich verschärfte Infektionsschutzauflagen („faktische Quarantäne“), die die Betriebe umsetzen müssen. Die strikte und konsequente Einhaltung gerade dieser Auflagen ist nicht nur ein Gebot des Selbstschutzes, sondern auch eine Frage der Solidarität unter Berufskollegen. Werden Verstöße aktenkundig bzw. medienöffentlich, wird die Politik unter Druck geraten und die Regelung läuft Gefahr, kurzfristig wieder ausgesetzt zu werden. Also es gilt, die Spielregeln einzuhalten.

Arbeitsfähigkeit erhalten – auch nach der Corona-Krise

Die Forderung „Arbeitsfähigkeit erhalten“ ist keine Absage an den Schutz von Klima, Umwelt und Artenvielfalt – aber sie setzt neue Prioritäten für politische Rahmenbedingungen und für die Abwägung von Zielkonflikten. Nachhaltig wirtschaften und arbeiten müssen werden wir weiterhin. Wofür in diesen Tagen kein Platz ist: bürokratische Blockaden, überzogene nationale gesetzgeberische Alleingänge und Ausbremsen der heimischen Landwirtschaft. Bei aller Tragik des Corona-Geschehens: es ist eine Lektion, wie man auch in einer digitalen und postindustriellen Gesellschaft strukturelle Resilienz – altmodisch Widerstandsfähigkeit gegen Krisen – gewährleistet. Dass man Landwirtschaft nicht in globale Lieferketten outsourcen darf, wird nun mehr als deutlich sichtbar. Umgekehrt wird auch ein Schuh draus: Die Politik muss ihren Teil dazu beitragen, dass die Agrarwirtschaft auch nach der Corona-Krise arbeitsfähig bleiben kann. Für die Zeit der Krise selbst hat sie das bereits getan und in kurzer Zeit enorm viele Erleichterungen, Flexibilisierungen und Unterstützungspakete auf den Weg gebracht. 

Bewusstsein für Systemrelevanz der Landwirtschaft erhalten

Manche Akteure bewerten den neuen Fokus auf der heimischen Wirtschaft und europäischen Lieferketten schon als weitgehende Absage an die Globalisierung. Das ist im Fall von Atemschutzmasken sicher richtig, aber für die Landwirtschaft a) eine Illusion und b) zu kurz gedacht. Das heimische Absatzpotenzial zu behalten und hier auch aufzuholen ist das eine. Die Chancen für hochwertige Produkte in wertschöpfungsstarken Märkten (das unterscheidet uns von manchen großen Agrarexporteuren) werden wir aber sicher weiter nutzen. Ebenfalls bleiben wird ein Einfluss internationaler Märkte auf das europäische und deutsche Preisgefüge für Agrarerzeugnisse. Damit sind wir bei den längerfristigen Folgen der Corona-Krise und der davon ausgelösten wirtschaftlichen Rezession. Druck auf Rohstoffpreise ist stets ein zuverlässiger Begleiter von Wirtschaftskrisen und Konjunktureinbrüchen. Bis jetzt ist die Landwirtschaft im Vergleich zu anderen Branchen, deren Geschäft in kurzer Zeit komplett zusammengebrochen ist, noch mit einem blauen Auge davongekommen. Das kann sich aus den genannten Gründen über die kommenden Monate noch ändern. Kein Grund, jetzt schon die Apokalypse auszurufen, aber man muss mit dieser Entwicklung rechnen. Was bleibt also zu tun für die Zeit nach der Rückkehr in die Normalität: das verlorene Geschäft nachholen (soweit möglich), dafür sorgen, dass die Systemrelevanz unseres Sektors nicht in Vergessenheit gerät und vor allem die strukturelle und wirtschaftliche Stärkung der heimischen Landwirtschaft politisch dauerhaft auf den Weg bringen!