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Bernhard Krüsken
Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes
Foto: DBV/Breloer

Nun startet das neue Konstrukt mit drei Jahren Verspätung und schon auf dem halben Weg zum Ende dieser Finanzierungsperiode. Es startet mit zahlreichen Mängeln und Herausforderungen und mit über 1.700 Seiten eines Strategieplans, der weniger Strategie, sondern ein Abbild föderalen Durcheinanders und ausufernder technischer Kleinteiligkeit ist.

Jetzt die Blaupausen für 2027 auflegen
Eine Bilanzierung der Effektivität dieses jahrelangen politischen Prozesses zwischen EU, Bund und Ländern garantiert Frustrationserfahrung. Diese wird noch größer, wenn die nächste Reformrunde näher rückt, und vor allem, wenn man sich anschaut, wie dieser Tanker in den zurückliegenden Monaten auf Zeitenwenden und veränderte Rahmenbedingungen reagiert hat – nämlich so gut wie gar nicht. Temporäre Aussetzungen von Stilllegungs- und Fruchtfolgeregeln sind Gesten, aber keine konzeptionellen Änderungen. Daraus folgt: Nach der Reform ist vor der Reform; wir müssen jetzt die Blaupausen für 2027 auflegen – inhaltlich und organisatorisch. Das verunglückte Delivery Model hat die „Administrierbarkeit“ der GAP für Landwirte und Behörden weiter in eine organisatorische Sackgasse getrieben, so kann es im Grunde nicht weitergehen. Hier braucht es mehrere Befreiungsschläge in Sachen Bürokratie, Umgang mit Sanktionen und Anlastungen.

Gewichtung der Ziele an veränderte Rahmenbedingungen anpassen
Inhaltlich geht es wie in den zurückliegenden Reformrunden wieder um die Gewichtung der Ziele, als da sind: Wettbewerbsfähige Landwirtschaft, (wirtschaftliche) Stabilität ländlicher Räume, Versorgungssicherheit, Sicherung europäischer Nachhaltigkeitsstandards, Umwelt- und Naturschutz und nicht zuletzt Klimaschutz und Klimafolgenanpassung. Auch wenn das eine Wiederholung bereits geführter Diskussionen ist, muss das Ganze nochmal unter veränderten Rahmenbedingungen durchgegangen werden.

Betriebswirtschaftliche Attraktivität ist unverzichtbar
Eine Antwort hat die Zukunftskommission Landwirtschaft schon gegeben: Es müssen betriebswirtschaftlich attraktive Angebote für Landwirte geschaffen werden (das ist zugegebenermaßen sehr verkürzt, die Langfassung ist aber veröffentlicht). Das klingt zunächst einfach, kann aber nur funktionieren, wenn das Verfahren zum „Einkauf“ gesellschaftlich gewünschter Gemeinwohlleistungen im Klima-, Umwelt- und Naturschutz aus GAP-Mitteln anders gestaltet wird als bisher. Ansatzpunkte sind die Zulassung von Anreizkomponenten und die überbetriebliche Organisation solcher Maßnahmen über Zusammenschlüsse von Landwirten.

Versorgungssicherheit und hohe Standards
Versorgungssicherheit kam im Zielkatalog der jüngsten Reformrunde nicht vor; die aktuellen Erfahrungen begründen ein Umsteuern mehr als ausreichend. Dieses Ziel gehört abgesichert und darf auch nicht durch eine neue GAP konterkariert werden. Der deutschen Industrie dämmert gerade, dass in nahezu allen Schlüsselbereichen wichtige Rohstoffe, Komponenten und Vorprodukte aus Drittländern kommen, in denen mehr oder weniger große politische oder geostrategische Stabilitätsrisiken bestehen. Häufig nehmen dabei einzelne Lieferländer eine dominierende Rolle ein. In Friedenszeiten und bei allgemeiner internationaler Begeisterung für globalisierte Wirtschaftsbeziehungen ist das kein Problem – sehr wohl aber, wenn einzelne Glieder der Lieferkette ausfallen. Bei Lebensmitteln und Agrarerzeugnissen sprechen zwei Gründe dafür, solche Entwicklungen zu vermeiden: Erstens der Anspruch auf Versorgungssicherheit und zweitens die Absicherung der gesellschaftlich gewünschten und gesetzlich festgeschriebenen europäischen Standards für die Erzeugung.

Unvermeidliche Begleiterscheinung eines Outsourcings der landwirtschaftlichen Erzeugung in Drittländer ist die Produktion zu niedrigen Anforderungen an Nachhaltigkeit, Lebensmittelsicherheit und Tierschutz. Ein großflächiges Naturschutzidyll mit viel Extensivierung oder neu geschaffener Wildnis, mit Stilllegungen oder Umwidmung von landwirtschaftlichen Flächen kann man sicher mit viel Förderung schaffen. Aber es hat auch dann den Preis, dass erstens Importe zunehmen und zweitens Ansprüche an Verbraucherschutz, Nachhaltigkeit, Umweltorientierung der Erzeugung oder Tierschutz an der Einfuhrstelle abgegeben werden müssen – nur gut gemeint reicht halt nicht als politisches Konzept.

Wegen dieses Spannungsfeldes war die GAP bisher auch gewissermaßen ein Reparaturbetrieb für die europäische Handelspolitik. Das muss sie auch bleiben, solange in Handelsabkommen mit Drittländern die regulatorischen Unterschiede nicht angemessen berücksichtigt werden. Auch eine carbon border adjustment tax kompensiert nicht die unterschiedlichen Standards für die Lebensmittelerzeugung. Daraus folgt die Frage nach dem geeigneten Instrument, was uns wieder in die bereits geführte Diskussion über Flächenprämien oder andere Ansätze bringt.

Klimaschutz und nachhaltige Intensivierung
Schließlich gibt es noch einen größeren Zusammenhang, der in der GAP-Debatte bisher definitiv zu kurz kommt. Klimaschutz bedeutet Ausstieg aus fossilen Energieträgern und aus fossilen Rohstoffen, bedeutet Dekarbonisierung auch der „nichtlandwirtschaftlichen“ Stoffkreisläufe. Ein kurzer Blick auf die Dimensionen dieser Stoffströme reicht, um die Größe dieser Aufgabe zu verstehen. Damit befasst sich die Bioökonomie und entwirft Visionen von Bioreaktoren und Produktionssystemen für sogenannte biobasierte Rohstoffe. Selbst wenn diese Visionen Realität werden, muss ein erheblicher Teil solcher Rohstoffe aus Landnutzungssystemen kommen, d. h. aus Land- und Forstwirtschaft. Übrigens dürfte eine Verschiebung bestehender Nutzungskaskaden (z. B. Tierhaltung oder Bioenergie) hier bei weitem nicht ausreichen. Wir landen somit wieder bei der Notwendigkeit einer nachhaltigen Intensivierung, die mit dieser oder einer zukünftigen GAP nicht ausgebremst werden darf.

Zukunftskommission Landwirtschaft gibt Zielmarken vor
Die GAP-Debatte mag anstrengend oder auch frustrierend sein, aber wir müssen sie weiterführen, die Zeit bis 2027 nutzen, sie in Teilen mit dem Blick auf neue Rahmenbedingungen neu aufrollen und vor allem schneller fertig werden als in dieser Reformrunde. Kritiker und Befürworter haben in der Zukunftskommission Landwirtschaft schon eine erste Verständigung geschaffen, so dass dieses Ziel nicht ganz chancenlos ist.