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Bernhard Krüsken
Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes
Foto: Breloer/DBV

Insbesondere bei der Tierhaltung als Schwerpunktthema dieser Ausgabe können sich einige Leser vielleicht an den Befund aus den Schwerpunktausgaben der Vorjahre erinnern: Diese (wie auch die vorhergehende) Bundesregierung muss sich ein erhebliches Strategiedefizit in Sachen Weiterentwicklung der Tierhaltung bescheinigen lassen.

Die Diagnose ist eigentlich unumstritten:
Der beabsichtigte Umbau in Richtung höherer Tierwohlstandards bleibt zurück, mangels Verlässlichkeit für Investitionen, wegen genehmigungsrechtlicher Hindernisse, mangels eines schlüssigen Förderkonzeptes, wegen Lücken in Kennzeichnungsvorgaben und last, but not least wegen starken Preiswettbewerbs mit niedrigen Standards vor allem bei anonymer Ware.

Die politische Untätigkeit hat wirtschaftliche Folgen
Die Empfehlungen des Kompetenznetzwerkes Nutztierhaltung sind zwar zwischenzeitlich im politischen Getriebe versickert, hätten aber trotzdem einen Weg aus dem Dilemma weisen können. Wie auch immer, Untätigkeit bleibt selten folgenlos, so ist auch hier das Vorhergesagte eingetreten: Die Tierhaltung ist in den zurückliegenden Monaten und Jahren schneller geschrumpft als die Nachfrage nach tierischen Lebensmitteln. Andere Erzeugungsregionen in Europa freuen sich über neue Chancen und Absatzwachstum im deutschen Markt und mit den höheren Standards und mehr Tierwohl wird es nichts, eher tritt das Gegenteil ein. Überflüssig zu erwähnen, dass mit der regionalen Verschiebung der Erzeugung der ökologische oder Ressourcen-Fußabdruck in der Regel größer wird und die volkswirtschaftliche Bilanz in Bezug auf regionale Wertschöpfung sich deutlich verschlechtert.

„Zu wenig und zu spät“
Man kann hier entgegenhalten, dass die Bundesregierung ja Schritte unternommen hat, das Tierhaltungskennzeichen, das Bundesprogramm Tierhaltung und etwas beim Baurecht. Für alle Maßnahmen gilt aber leider bisher auch „zu wenig und zu spät“. Die Haltungsformkennzeichnung ist so lückenhaft, dass die größten Warenströme außen vor bleiben. Ein sinnvolles Vorgehen bei der Kontrolle, beispielsweise ein bundesländerübergreifender Ansatz, ist nicht in Sicht. Beim Bauen bremst nach wie vor der Immissionsschutz, das Bundesprogramm schließt Vollerwerbsbetriebe aus und ist so klein dimensioniert, dass es nur für Mitnahmeeffekte reicht. „Zu viel und zu früh“ gibt es hingegen beim Ordnungsrecht, mit dem man die deutschen Tierhalter weiter im europäischen Wettbewerb belastet. Die Annahme, dass der eine oder andere politische Akteur diesen Rückbau sozusagen als Kollateralnutzen sieht, wird dadurch jedenfalls bestärkt.

Es besteht grundlegender Handlungsbedarf
Wie auch immer, es gibt einiges zu tun, um genauer zu sein, es besteht grundlegender Handlungsbedarf. Auf der agrarpolitischen Agenda stehen aber solche Projekte wie die Umsetzung der europäischen Entwaldungsverordnung für heimische Erzeuger, weitere nationale Alleingänge im Tierschutzgesetz und in der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung sowie die Umsetzung des Art. 148 der Gemeinsamen Marktorganisation, d. h. der Verpflichtung, vor jeder Milchlieferung Menge und Preis vorab schriftlich festzulegen. Dieser langjährige Wunsch einer kleinen regierungsnahen Gruppe von Milcherzeugern wird nun erfüllt, obwohl etliche Expertenrunden, Erzeugerorganisationen und Marktakteure darin keinen Nutzen für die Erzeugerseite erkennen konnten. Dieser Befund überrascht ja nicht, denn ein Preisschild macht einen schlechten Preis ja nicht besser. Das Ganze kann auch schnell ins Gegenteil umschlagen: Muss sich die Molkerei vorher festlegen, wird sie bei unsicheren Marktaussichten oder in schwachen Marktphasen eher defensiv agieren. Dem fehlenden Nutzen dieser Regelung für die Erzeuger steht einiges an bürokratischem Aufwand gegenüber. Den Befürwortern ist es offensichtlich auch fremd, dass Milcherzeuger und vor allem Erzeugervereinigungen durchaus in der Lage sind, mit Molkereien Preise zu vereinbaren, je mehr Modelle der Markt dafür anbietet, umso besser. Das ist aber nicht die eigentliche Kritik an diesem Projekt; die besteht vielmehr darin, dass man sich mit solchen etwas weltfremden Ansätzen befasst und eben offenbar nicht an die tatsächlichen Probleme für die (Milch-)Erzeuger herangehen will, vor allem an die Marktungleichgewichte auf den nachfolgenden Stufen und an die ständig wachsenden regulatorisch bedingten Kosten.

Bürokratie abbauen und Wettbewerbsfähigkeit herstellen
Wir hätten durchaus Besseres zu tun. Dazu zählen über die Themen der Tierhaltung hinaus ein effektiver Bürokratieabbau und die Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit. Immerhin hat die Agrarministerkonferenz von Bund und Ländern eine erste Sammlung von Vorschlägen zusammengestellt; auch der DBV hat seine Forderungen und Vorschläge vorgelegt. Wie viele andere Wirtschaftsbereiche ist auch die Landwirtschaft mit bürokratischen Lasten und Wettbewerbsnachteilen konfrontiert, die über die zurückliegenden Jahre und Jahrzehnte kontinuierlich gewachsen sind. Bürokratie und eine Vielzahl wenig sinnhafter Kontrollen und Regulierungen belasten die landwirtschaftlichen Betriebe und bremsen sie im europäischen Wettbewerb aus. Auch Sonderregelungen, die über europäisches Recht hinausgehen, müssen auf den Prüfstand und in der Logik eines gemeinsamen europäischen Binnenmarktes auf europäische Vorgaben zurückgeführt werden.

Effektiver Bürokratieabbau braucht klare Spielregeln
Bürokratieabbau ist eine gerne und häufig erhobene Forderung, bei der genauso gern vergessen wird, dass Bürokratie vor allem durch gesetzliche und untergesetzliche Vorgaben entsteht. Effektiver Bürokratieabbau kann nur dann gelingen, wenn solche Vorgaben nicht nur modifiziert, sondern auch ersatzlos gestrichen werden. Neue gesetzliche Vorgaben müssen sich ebenfalls dem Anspruch stellen, keine zusätzliche Bürokratie und keine zusätzlichen Benachteiligungen im europäischen Vergleich zu schaffen. Neue Regelungen müssen praxisorientierter und unter Einbeziehung der betroffenen Wirtschaftsbereiche entwickelt und in eine klare Rechtssystematik eingeordnet werden. Eine Folgenabschätzung im Hinblick auf wirtschaftliche und bürokratische Konsequenzen sowie eine Prüfung auf Übereinstimmung mit europäischen Vorgaben sollte zwingend erfolgen, ebenso eine konsequente Streichung überholter und widersprüchlicher Vorschriften. Bürokratieabbau in Deutschland ist ein Marathonlauf, der nur bewältigt werden kann, wenn solche Spielregeln konsequent angewandt werden.