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Joachim Rukwied
Präsident des Deutschen Bauernverbandes

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine hat ins kollektive Bewusstsein gerufen, dass Frieden und Stabilität niemals als selbstverständlich angesehen werden können. Gleichzeitig sind mit der viel zitierten Zeitenwende neue wirtschaftspolitische Herausforderungen auf die gesamte Gesellschaft zugekommen: Die Inflation hat uns alle noch immer fest im Griff und die Sicherung der Energieversorgung muss weiter Priorität haben. Aber auch das Thema Ernährungssicherheit ist wieder auf den Tagesordnungen gesellschaftlicher und politischer Debatten erschienen – und dennoch scheint bei einigen politischen Entscheidungsträgern die hohe Relevanz einer sicheren Versorgung mit Nahrungsmitteln noch nicht gänzlich angekommen zu sein. Ein pragmatischer Gestaltungswille ist seitens der Politik gefragt. Denn wer mit Fortschritt wirbt, der muss sich auch an fortschrittlichen Ergebnissen messen lassen.

Fortschritt braucht wirtschaftliche Perspektiven
Wenn wir die Zukunft für und mit der jungen Generation gestalten wollen, gehören ambitionierter Klima- und Artenschutz ohne Frage dazu. Nicht nur Gesellschaft und Politik haben dies erkannt – wir Landwirtinnen und Landwirte sind selbst in hohem Maße vom Klimawandel betroffen. Deshalb ist für uns selbstverständlich, Klimaschutz, Artenschutz und Ernährungssicherung in Einklang zu bringen. Insbesondere die junge Generation ist bereit, mit innovativen Methoden und frischen Ideen Veränderung zu gestalten. Letztendlich ist aber eines dafür unerlässlich: Wer seinen Betrieb weiterentwickeln und zukunftsfest machen will, der kann dies nur tun, wenn auch wirtschaftliche Perspektiven vorgefunden werden – diese sehen viele Betriebe aktuell nicht. Mehr denn je ist jetzt die Politik gefragt, die richtigen Rahmenbedingungen zu setzen und Perspektiven zu schaffen. Denn Landwirtschaft ist systemrelevant und darf nicht zu einem weiteren geopolitischen Spielball auf einem Feld einseitiger Abhängigkeiten werden – das sollte spätestens seit den Krisen der vergangenen Jahre jedem bewusst sein.

Hindernisse für den Umbau der Tierhaltung ausräumen
Ein Bereich, in dem momentan eine echte Perspektive fehlt ist die Tierhaltung. Wenngleich die Vorschläge für einen erfolgreichen Umbau der Tierhaltung hin zu noch mehr Tierwohl seit Jahren auf dem Tisch liegen – und sich alle relevanten Akteure offenkundig zu den Ergebnissen des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung bekannt haben – kamen aus der Politik zuletzt bestenfalls lückenhafte Konzepte. Die Zeit drängt jedoch massiv. Wer hier nicht handelt, gefährdet nicht nur die landwirtschaftliche Tierhaltung in Deutschland, sondern auch das gewünschte hohe Tierwohl. Viele Betriebe stehen bereits kurz vor der Aufgabe und brauchen zügig ein Signal, ob Tierhaltung in Deutschland noch gewünscht ist. Es braucht eine vollumfängliche Haltungs- und Herkunftskennzeichnung, ein Bau- und Immissionsschutzrecht, das den Tierwohlstallumbau auch tatsächlich ermöglicht sowie ein tragfähiges, langfristiges Finanzierungskonzept. Für eine umfassende Strategie müssen aber auch die Branche selbst sowie die Marktpartner entlang der Wertschöpfungskette etwas beisteuern: Es bedarf dringend vermehrter Anstrengung in der gemeinsamen Kommunikation und im Marketing.

Farm-to-Fork-Strategie an die wirtschaftliche Realität anpassen
Dass Dreh- und Angelpunkt für eine nachhaltige Zukunft wirtschaftliche Perspektiven sind, scheint auch in Brüssel noch nicht angekommen zu sein. Kurzum: Die Ziele des Green Deal tragen wir als Berufsstand mit. In der konkreten Ausgestaltung tritt inzwischen jedoch immer deutlicher zutage, dass die eigentlichen Ziele des Green Deal durch realitätsferne und überzogene Maßnahmen konterkariert werden. Das Aus für zahlreiche Betriebe und damit eine verstärkte Verlagerung der Nahrungsmittelerzeugung in Drittstaaten wäre die Folge – mit allen damit einhergehenden negativen Auswirkungen für Natur- und Klimaschutz. Exemplarisch für diese fehlgeleitete Politik stehen die im vergangenen Jahr als Teile der Farm-to-Fork-Strategie vorgelegten Verordnungsvorschläge zur Pflanzenschutzmittelreduktion und zur Naturwiederherstellung. Würden die Vorschläge der EU-Kommission umgesetzt, müssten die Betriebe insbesondere in Schutzgebieten mit massiven Ertragseinbußen und Einkommensminderungen rechnen. Gesellschaftlich müsste man sich auf einen noch geringeren Selbstversorgungsgrad bei Obst und Gemüse einstellen, denn der Anbau zahlreicher Kulturen wäre wirtschaftlich nicht mehr tragfähig. Es ist glasklar, dass es hier intelligentere Lösungen braucht. Dass die EU-Kommission dennoch an ihren weltfremden Plänen festhält und leichtfertig die Existenzen zahlreicher Betriebe sowie die Ernährungssicherheit gefährdet, ist vollkommen inakzeptabel.

EU-Mercosur-Abkommen neu verhandeln
Und dennoch: Dass die EU mit dem Green Deal eine globale Vorreiterrolle beim Klima- und Umweltschutz einnehmen will, ist grundsätzlich wichtig und richtig. Angesichts der dringend notwendigen Anstrengungen beim Klima-, Umwelt- und Naturschutz ist es daher vollkommen unverständlich, dass ebendies auch mit dem geplanten Mercosur-Abkommen unterminiert würde. Ein regelbasierter Handel ist auch für die Landwirtschaft erstrebenswert. Das Mercosur-Abkommen würde jedoch dazu führen, dass die heimische Erzeugung durch Agrarimporte zu Standards aus dem vergangenen Jahrhundert verdrängt wird – zu Lasten von Verbrauchern, Landwirten, Tieren, Umwelt und Klima. Statt weiterhin lediglich Absichten zu bekunden, gilt es jetzt, die Dinge zu Ende zu denken und entsprechend zu handeln: Die EU-Landwirtschaft kann nur bestehen, wenn Instrumente und Mechanismen entwickelt werden, mit denen die Differenzen zwischen internationalen und europäischen Umwelt-, Klima- und Tierwohlstandards ausgeglichen werden. Zwingend erforderlich ist jetzt, das Mercosur-Abkommen neu zu verhandeln und die Ziele des Green Deal darin zu verankern. Generelle und unkonkrete Rechtfertigungsverweise auf geopolitische und gesamtwirtschaftliche Vorteile reichen nicht aus, wenn die Zukunft einer gesamten Branche auf dem Spiel steht.

Klimaschutz, Artenschutz und Tierwohl – wie es besser geht
Klar ist: Für die brennenden Fragen der Sicherung unserer Lebensgrundlagen brauchen wir Lösungen und die Landwirtschaft ist aktiver Teil der Lösung. In der Praxis setzen wir Bauern bereits auf vielfältige Fruchtfolgen und Zwischenfrüchte, Precision Farming, schonende Bodenbearbeitung sowie wassersparende Anbauverfahren und integrieren immer mehr Natur- und Artenschutzmaßnahmen in unsere Betriebsabläufe. So wirtschaften wir bereits jetzt ressourcenschonender – und damit klimafreundlicher und nachhaltiger. Diesen Weg werden wir entschlossen weitergehen. Auch „Carbon-Farming“, die Speicherung von CO2 durch gezielten Humusaufbau in Böden, nimmt an Bedeutung zu und ist ein Schlüssel zur Erreichung von Klimaneutralität in der Landwirtschaft. Um diesen Weg weiter verfolgen zu können, braucht es neben gezielter Agrarforschung, digitalen Innovationen und technologischem Fortschritt weitere praxisorientierte Lösungen. Hier ist vor allem die Politik gefragt. Wir brauchen aufgrund des Klimawandels dringend resilientere Pflanzen – und somit Offenheit der Politik gegenüber modernen Züchtungsmethoden wie CRISPR/Cas. Bereits 2021 hat sich der Deutsche Bauernverband dafür eingesetzt, Ernährungssicherung und Klimaschutz als Staatsziele ins Grundgesetz aufzunehmen. Im Lichte der aktuellen geopolitischen Ereignisse und klimatischen Entwicklungen hat diese Forderung nochmals an Relevanz gewonnen.

Veränderung bietet Chancen
Veränderung und Weiterentwicklung begleitet die Landwirtschaft seit jeher – und betrifft auch keineswegs die Landwirtschaft als einzige Branche, sondern die gesamte Gesellschaft. Auch wenn die Herausforderungen und Unsicherheiten groß sind, wollen wir als Bauernverband diesen stetigen Wandel mitgestalten. Unser Antritt ist, dies gemeinsam mit viel Innovationsmut und Unternehmergeist als „Zukunftsbauern“ anzupacken – und nicht in Form einer von oben verordneten „Transformation“. Ein Mehr an gesellschaftlichen Leistungen findet sich letztendlich auch in der Wertschöpfung unserer Betriebe wieder. Zum Beispiel in Form neuer Geschäftsfelder in der Energieerzeugung oder beim Artenschutz. Hier ist es unser aller Aufgabe, dies noch besser nach außen zu kommunizieren und mit Selbstbewusstsein zu zeigen, was wir Bauernfamilien Tag für Tag leisten. Die Landwirtschaft wünscht sich zurecht seit Jahren mehr Verständnis und Wertschätzung für ihre Arbeit. Um ebendiese zu schaffen, müssen wir in den Dialog treten und uns auf allen gesellschaftlichen Ebenen einbringen.

Zukunft braucht Perspektiven – und junge Menschen
Wenn wir über Zukunftsperspektiven für die Landwirtschaft sprechen, darf eines nicht fehlen: die junge Generation. Wir brauchen nicht nur motivierte Hofnachfolgerinnen und Hofnachfolger auf den Betrieben, sondern auch engagierte junge Unternehmerinnen und Unternehmer in unserer Verbandsfamilie. Die Sichtweise junger Menschen bereichert unsere Arbeit und muss in jede unserer Positionen und Entscheidungen mit einfließen, davon bin ich überzeugt. Schließlich sind sie es, die am Ende in die Zukunft investieren müssen. Deshalb wollen wir nicht nur die Landwirtschaft und Agrarpolitik für die Zukunft fit machen, sondern auch den Bauernverband. Die Interessen des Berufsstandes gegenüber der Politik zu vertreten, ist zwar stets mit einem langen Atem verbunden, aber es lohnt sich – denn die großen Herausforderungen unserer Zeit können nur mit uns Bauernfamilien bewältigt werden.