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Bernhard Krüsken
Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes
Foto: Breloer/DBV

Was haben die Wellen von Pandemien und Strukturwandel gemeinsam? Sie sind häufig relativ präzise vorhersagbar. Trotzdem werden die Prognosen ignoriert – und wenn diese sich bewahrheiten, geben sich alle Beteiligten überrascht und wundern sich, dass es eingetreten ist. So läuft das mit der vierten oder fünften Corona-Welle und leider auch mit der Strukturentwicklung in der Tierhaltung. Im ersten Fall ließ sich die Ausbreitungsdynamik der neuen Virusvarianten schon im frühen Herbst gut modellieren und hochrechnen, sorgte aber erst wenige Tage vor Weihnachten für Aufregung, Aktionismus und hektisches Nachsteuern. Im zweiten Fall sind die „Zutaten“ seit langem sichtbar: nationale Verschärfungen im Ordnungsrecht, Wettbewerbsnachteile im gemeinsamen Binnenmarkt, Investitionsblockaden im Bau- und Genehmigungsrecht, starke Konzentration und Preisorientierung entlang der Vermarktungskette und so weiter.

Strukturwandel hat sich verschärft

Lösungen und neue Wege liegen auf dem Tisch, werden aber durch die gleichen Faktoren wieder ausgebremst. Ergebnis ist ein enorm verschärftes Tempo im Strukturwandel, sprich im Ausstieg von Betrieben, bei dem die Schweinehaltung derzeit das Epizentrum ausmacht und der ziemlich genau das Gegenteil agrarpolitischer Zielvorstellungen darstellt. Dabei könnte es – nicht einfach, aber machbar – gehen: Mehr Wertschöpfung und Wertschätzung durch höhere Standards, Haltungsform- und Herkunftskennzeichnung, Tierwohlvorrang im Baurecht in Verbindung mit einer intelligenten Kombination von Investitionsförderung, Tierwohlprämie und Marktfinanzierung und die anderen vom Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung erarbeiteten Empfehlungen.

Empfehlungen der Borchert-Kommission jetzt umsetzen

(Foto: Countrypixel/Adobestock)

Die neue Bundesregierung hat es in der Hand, einen solchen Umbau mit den Landwirten zum Erfolg zu bringen. Das wird nicht gelingen, wenn gleich weitere Aufrüstungen der gesetzlichen Anforderungen auf die Agenda gesetzt werden, ohne einen klaren Rahmen für eine nationale Nutztierstrategie abgesteckt zu haben. Im Koalitionsvertrag finden sich einige Ankündigungen in diese Richtung, unter anderem zur Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung oder zum Brandschutz. Wer nur die Absicht hat, Tierhaltung mit hohen Standards irgendwie loszuwerden, könnte das mit einer solchen Salamitaktik natürlich effektiv tun – ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Die große Koalition hat ein ziemliches Strategiedefizit in Sachen Nutztierhaltung hinterlassen. Jetzt gilt es, dies auf die naheliegendste Weise nachzuholen: die Empfehlungen der Borchert-Kommission umsetzen.

Massiv steigende Betriebsmittelkosten können zur akuten Existenzgefährdung werden

Ein Blick auf die Märkte zeigt, dass die Rahmenbedingungen und Fundamentaldaten in stärkerer Veränderung als erwartet begriffen sind. Auf den Energiemärkten werden die Karten schon seit Monaten komplett neu gemischt, Knappheiten sind die neue Grundstimmung und die Inflation ist zurück. Deshalb fallen Bilanz und Ausblick auf die Märkte als Schwerpunkt des dbk-Jahresauftakts etwas aus dem üblichen Rahmen. Die Landwirtschaft hat in den zurückliegenden Jahren und Jahrzehnten immer als unfreiwillige Inflationsbremse gewirkt. Wenn es nicht gelingt, die massiven Kostensteigerungen auf der Betriebsmittelseite weiterzugeben, bleibt unser Sektor in dieser Rolle stecken, die zur akuten Existenzgefährdung wird. Es reicht also nicht, wenn Erzeugerpreise ein bisschen im Rohstoffboom mitschwimmen und sich langsam nach oben entwickeln. Bei Inflationsraten von rund 5 % und Kostensteigerungen von einem Drittel müssen Marktpartner und Politik die Angst vor höheren Lebensmittelpreisen ablegen. Verhandlungen mit Verarbeitern und Lebensmittelhandel über Regionalität, besondere Qualitäten oder Haltungsformen dürfen nicht bei Grenzkostenkalkulationen steckenbleiben.

Lebensmitteleinzelhandel in die Pflicht nehmen

Nicht bei Preisverhandlungen, sondern bei grundsätzlichen Fragen zur Struktur und zur Zusammenarbeit in der Vermarktungskette setzt die Zentrale Koordination Landwirtschaft und Lebensmittelhandel (ZKHL) an. Diese Plattform ist damit ein wichtiger Teil der Strategie, den Lebensmitteleinzelhandel (LEH) in Sachen Wertschöpfungssicherung in die Pflicht zu nehmen. Nach dem angekündigten Start in der ersten Jahreshälfte galt es, die ZKHL arbeitsfähig zu machen, die Akteure auf Themen, Arbeitsfelder und Prioritäten zu verpflichten und auch die Zusammenarbeit mit dem so genannten Agrardialog zu regeln. Neben den Gründungsmitgliedern DBV, DRV und HDE ist der Beitritt und die Mitarbeit weiterer Organisationen erfolgt, die Arbeit läuft. Zuerst wird es um Herkunftssicherung und Herkunftskennzeichnung gehen, und zwar nicht um die politischen oder gesetzgeberischen Vorgaben, sondern um die Organisation und Umsetzung. Das Ziel aus Sicht der Landwirtschaft besteht darin, ein möglichst breit anwendbares und schlankes System bereitzustellen, mit dem Herkunft und Standards sichtbar gemacht werden können – nicht nur bei Trinkmilch und Frischfleisch, sondern auch für ganze Produktkategorien und Verarbeitungserzeugnisse. Zwischen ZKHL und Teilnehmern des Agrardialogs ist vereinbart, Arbeitsgruppen zum Thema Schweinefleisch und Milch weiterzuführen; außerdem stehen Themen aus der Vermarktung von Obst und Gemüse an. Wir werden berichten.

Aufbruch bei Zukunftsstrategie "jünger und weiblicher"

Zu einer Zukunftsstrategie gehört auch der Blick in die eigene Organisation. Hier hat der DBV zügig und fast geräuschlos einen wesentlichen Schritt vollzogen. Es geht um die Umsetzung des Ziels „jünger und weiblicher“ und im Besonderen um die Unterstützung des Engagements von landwirtschaftlichen Unternehmerinnen in der Verbandsarbeit. Nach intensiven Diskussionen mit Unternehmerinnen aus allen Ebenen der Kreis- und Landesbauernverbände hat der DBV-Verbandsrat einstimmig einen Beschlussvorschlag auf den Weg gebracht, der in drei Schritten zur Berufung einer Vizepräsidentin führt. Grundlage ist die Einrichtung eines Fachausschusses für Unternehmerinnen, dessen Vorsitzende in den Vorstand berufen und vom Verbandsrat bestätigt werden soll. Dieser Weg und die dafür erforderliche Satzungsänderung sollen der nächsten Mitgliederversammlung auf dem Bauerntag in Lübeck vorgelegt werden. Das Ganze soll als Beginn und Flankierung einer Entwicklung verstanden werden, die in der gesamten Organisation angeschoben werden muss, nämlich weibliche unternehmerische Expertise und Sachverstand stärker einzubinden.