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Udo Hemmerling
Stellvertretender Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes
Foto: Breloer/DBV

In den letzten Wochen und Tagen vor der Bundestagswahl versuchen die politischen Parteien alles, um Stimmen der Wähler zu gewinnen. Doch welche Strategie ist in Zeiten immer neuer Krisen - Klima, Corona und zuletzt internationale Krisen - erfolgreich? Die Parteien sind wie ihre Wähler hin- und hergerissen zwischen Stabilitätsbedürfnis und Veränderungsbereitschaft. Welche Parteien, welche Kandidaten und welche Konzepte können Lotsen in diesen unsicheren Zeiten sein? Die Frage gilt speziell für die Landwirtschaft: Sie braucht Stabilität und Perspektiven, selbst wenn Agrarpolitik im Wahlkampf 2021 offenbar kein besonders prominenter Streitpunkt ist.

Wahlkampfmodus und Wahrheiten

Beim ersten TV-Triell der Kanzlerkandidaten Baerbock, Laschet und Scholz am 29. August stand die Zukunft der Landwirtschaft nicht zur Debatte. Doch am Thema Klimaschutz war erkennbar, wie alle Parteien mit klaren Botschaften bei absehbaren grundlegenden Veränderungen unserer Wirtschaftsweise hadern. Keiner der drei Kandidaten wollte klar aussprechen, welche zusätzlichen Kosten für den Klimaschutz auf die Verbraucher zukommen, wenn das Ziel der Klimaneutralität erreicht werden soll. Ganz ähnlich ist es auch beim Thema Tierwohl und der Landwirtschaft. Dort ist in den Wahlprogrammen von einem „Tierschutz-Cent“ (Grüne) oder einem „Tierwohlverbesserungsgesetz“ (Union) die Rede, aber nicht von den erforderlichen jährlichen Milliardenbeträgen für den gewünschten Umbau der Tierhaltung.

Klimaneutralität, „Green Deal“ und Tierwohl müssen finanziert werden

Insofern hat die Landwirtschaft wie viele andere Branchen eine klare Botschaft: Klimaneutralität, Tierwohl und auch Biodiversität können nicht erfolgreich durch Auflagen und Standards verordnet werden. Die Umweltziele werden verfehlt, wenn die heimische Produktion in Drittländer abwandert. Das hat auch die Zukunftskommission Landwirtschaft klar festgehalten. Stattdessen müssen marktwirtschaftliche und/oder staatliche Mechanismen und Finanzierungsmodelle etabliert werden, mit denen Wirtschaft und Landwirtschaft kalkulieren und in mehr Nachhaltigkeit investieren können. Noch scheuen Politiker, aber auch einige Verbandsvertreter die Aussage, dass am Ende Verbraucher bzw. Steuerzahler dies bezahlen müssen.

Ist das noch Ernte-Wetter oder schon Klima-Krise?

Auch an den Agrarmärkten gibt es starke Ausschläge. Dem dramatischen Preissturz bei Schweinefleisch stehen Höchstnotierungen bei Ölsaaten gegenüber. Bei der Ernte 2021 hat sich die Weisheit wieder bewahrheitet, dass die Ernte nicht auf dem Halm, sondern erst in der Scheune zählt. Die starken Regenperioden der vergangenen Wochen haben manche Ernteprognose vom Frühjahr widerlegt. An vielen anderen Standorten der Nordhalbkugel hat indes Trockenheit für Ernteeinbußen gesorgt. Marktexperten sehen eine weltweit enge Versorgungslage bei Getreide und Ölsaaten wie zuletzt 2008. Neue internationale Krisensituationen bei der Versorgung mit Nahrungsmitteln sind inzwischen wahrscheinlich geworden.

Aktuelle Umfrage

Hohe Zustimmung zur Sozialen Marktwirtschaft – aber geteilte Aussagen zu Kosten des Klimaschutzes

Der Rückhalt für die soziale Marktwirtschaft ist derzeit groß: 56 Prozent der Bürgerinnen und Bürger haben eine gute Meinung vom deutschen Wirtschaftssystem. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage des Instituts Allensbach im Auftrag des Gemeinschaftsausschusses der Deutschen Gewerblichen Wirtschaft. Der Deutsche Bauernverband ist ständiger Gast im Gemeinschaftsausschuss.

Mit der Umfrage sollte ermittelt werden, ob der sozialen Marktwirtschaft eine Problemlöser-Funktion für Herausforderungen wie den Klima- und Umweltschutz zugetraut wird. An ein Wirtschaftssystem stellt die Bevölkerung vor allem die klare Forderung, faire Löhne (80 Prozent) und möglichst sichere Arbeitsplätze (69 Prozent) sicherzustellen. Dies erwarten die meisten Menschen mehr noch als Klimaschutz und Nachhaltigkeit (je 60 Prozent). Die Bekämpfung des Klimawandels darf nicht zulasten von Arbeitsplätzen gehen (54 Prozent).

Klimaschutz-Forderungen und Konsumverhalten ambivalent

Laut Studie ist zwar etwa ein Drittel bereit, deutlich höhere Preise für Fleisch zu akzeptieren (34 Prozent). Aber die Bereitschaft sinkt rapide, wenn es um Einschränkungen oder höhere Preise für Strom oder Heizmittel geht (je sechs Prozent). Gar keine höheren finanziellen Belastungen durch den Klimaschutz darf es für rund die Hälfte der Befragten geben (55 Prozent).