Autor
Kruesken__Bernhard_-_Quelle_DBV-Breloer.jpg
Bernhard Krüsken
Generalsekretär des Deutscher Bauernverbandes
Foto: DBV/Breloer

So ein gängiger Spruch aus dem Fundus der allgemeinen Lebensweisheiten. Auf die derzeitige Situation und öffentliche Diskussion um Corona-Infektionen in Schlachtbetrieben trifft diese Binsenweisheit aber uneingeschränkt zu. Dabei geht es nicht um die Beurteilung vermeintlicher oder tatsächlicher Versäumnisse der Fleischwirtschaft, sondern darum, dass ein Teil der Lebensmittelkette eine seit Jahren bekannte Schwachstelle und Angriffsfläche bietet.

Die verschachtelten Werkverträge sind in Verbindung mit den Arbeits- und Unterbringungsverhältnissen eine solche Schwachstelle, die in der bekannten Weise eine massive Krise ausgelöst hat. In der momentanen politischen Konstellation - und durch geschicktes Taktieren derjenigen Kräfte, denen die Fleischwirtschaft ohnehin ein Dorn im Auge war - ist diese Krise in eine für die Branche existenzielle Größenordnung eskaliert. Die Reaktionen aus dem Sektor selbst haben auch einen Teil zu dieser Entwicklung beigetragen. Die unmittelbar betroffenen Unternehmen haben zwar nach Kräften daran gearbeitet, Rede und Antwort zu stehen. Eine einheitliche Stimme der Fleischwirtschaft war aber wenig sichtbar. Zu spät, zu wenig – so wurden die Versuche, den Kritikern entgegen zu kommen, auf der politischen Bühne wahrgenommen. Die Folgen sind bekannt: der absehbare Verlust des Systems der Werkverträge und ein im Moment noch nicht ganz überschaubarer Reputationsschaden.

Kollateralschaden Landwirtschaft

Für die Landwirtschaft ist es kein Trost, selbst nicht Teil und Verursacher der Probleme zu sein. Der Kollateralschaden für uns tritt auf zwei Ebenen auf. Zum einen fallen solche Defizite medial und in der öffentlichen Wahrnehmung immer auf die gesamte Erzeugungskette Fleisch zurück. Hohe Standards für die Tierhaltung oder Konzepte für mehr Tierwohl haben ein Glaubwürdigkeitsproblem, wenn auf dem Weg von der Stalltür bis zur Ladentheke die Verhältnisse nicht vorzeigbar sind. Zum anderen treten hier die Schattenseiten der fortgesetzten Konzentration in der Stufe Schlachtung und Zerlegung besonders deutlich hervor. Die logistische Abhängigkeit von reibungslos funktionierenden Schlacht- und Vermarktungskapazitäten ist augenfällig. Wenn beim Erscheinungstermin dieser dbk-Ausgabe weitere Schlachtbetriebe betroffen sein sollten und keine Lösung für die Weiterführung des Schlachtbetriebs gefunden ist, wird es für viele Schweinemastbetriebe eng.

Modellfall Fleischwirtschaft

Diese Krise der Fleischwirtschaft ist ein Modellfall dafür, dass eine gesamte Branche relativ schnell die gesellschaftliche und politische Lizenz für ein Geschäftsmodell verlieren kann, wenn der politische Rückhalt schwach ist, Lösungsansätze für offensichtliche Probleme nicht sichtbar sind oder zu spät kommen und - last but not least – man unter der Flagge des Krisenmanagements noch Punkte angehen kann, die nur indirekt mit den Problemen verbunden sind, aber die man immer schon angehen wollte.

Nicht die einzige Baustelle

Auch wenn die Landwirtschaft nicht direkt an den Skandalen beteiligt ist, so gerät sie doch in den Fokus der Diskussionen um zum Beispiel Tierwohlstandards und Wertschätzung.

(Foto: webandi/pixabay)

Das Ganze ist nun wirklich nicht die einzige Baustelle, mit der die Tierhalter konfrontiert sind: Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung und anhaltende Verschärfungen der rechtlichen Anforderungen, Blockaden im Bau- und Immissionsschutzrecht und Investitionsstau, ein unvermindert krasser Gegensatz zwischen gesellschaftlichen Anforderungen auf der einen und scharfem Preiswettbewerb auf der anderen Seite, anhängige Klageverfahren mit dem Ziel, Tierhaltung im Grundsatz auszubremsen und vieles mehr. Nimmt man die Breite der Herausforderungen und das Beispiel der Fleischwirtschaft zusammen, dann folgt daraus eines: Tierhaltung im am Standort Deutschland braucht zur Zukunftssicherung nichts weniger als den „großen Wurf“. Eine nationale, verlässliche, umsetzbare und allseits akzeptierte Nutztierstrategie ist das Gebot der Stunde - übrigens nicht erst seit Corona: der DBV fordert diese Strategie seit einigen Jahren ein, um Verlässlichkeit und Perspektive für die Tierhalter zu schaffen. In der langen Reihe der Kommissionen und Empfehlungen zu diesem Thema ist das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung unter dem Vorsitz von Bundeslandwirtschaftsminister a.D. Jochen Borchert bisher am weitesten gekommen. Dessen Empfehlungen können und müssen dieser „große Wurf“ werden.

Klare Regelungen schaffen

Voraussetzung ist ein politischer Konsens, der über mehrere Legislaturperioden hinweg trägt sowie Rückendeckung durch die Fraktionen im Deutschen Bundestag, die Bundesländer und politischen Akteure. Die Umsetzung muss alle Elemente der Empfehlung beinhalten: Eine Tierwohlprämie, deren langfristig gesicherte und verlässliche Finanzierung, ein Förderkonzept, das Anforderungen oberhalb des europäischen gesetzlichen Niveaus zuverlässig honoriert, eine klare, verbindliche Kennzeichnung aller Produkte einschließlich Verarbeitungsware nach Haltungsform und Herkunft und nicht zuletzt, vor allem anderen ein Bau- und Immissionsschutzrecht, das Umbau und Weiterentwicklung überhaupt erst ermöglicht. Wer das Konzept der Borchert-Kommission nur in Teilstücken umsetzen will, will es entweder zweckentfremden oder hat es nicht verstanden. Daraus folgt: Das Bau- und Immissionschutzrecht vor allen anderen Punkten angehen, die Finanzierung des Förderkonzeptes langfristig absichern, das Ordnungsrecht erst angehen, wenn Förderfähigkeit für Abweichungen vom europäischen Standard sichergestellt ist, das Konzept nicht auf Umsetzung eines staatlichen Tierwohlkennzeichens schrumpfen (und es damit ins Abseits schicken) und über eine flächendeckende Haltungsformkennzeichnung auch für Verarbeitungserzeugnisse die Nachfrageseite mit einbinden.

Wertschöpfung und Absicherung

Schließlich müssen wir uns darüber klar sein, dass nicht nur Politik und Gesellschaft, sondern auch Lebensmittelhandel und einige Vermarkter Antworten und Standards brauchen, mit denen sie gegenüber ihren Kunden arbeiten können. Auch wenn das schwierige Diskussionen mit der Vermarktungsseite werden, muss die Landwirtschaft daraus zusätzliche Wertschöpfung und Absatzsicherung machen, wenn sie eine wirtschaftliche Perspektive erhalten will. Die Initiative Tierwohl, aber auch eine Haltungsformkennzeichnung oder Systeme wie QS und QM Milch können Wege sein, dieses Ziel umzusetzen.