Die Reformvorschläge der EU-Kommission zum Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR), zur Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik (GAP) und zur ländlichen Entwicklung ab 2028 stoßen europaweit auf breite Kritik – nicht nur bei Landwirtinnen und Landwirten, sondern auch bei politischen Entscheidungsträgern in Parlament, Mitgliedstaaten und Regionen. Karl Bauer von der Landwirtschaftskammer Österreich (LKÖ), erfahrener GAP-Experte und Vorsitzender der COPA-Arbeitsgruppe, nimmt dazu Stellung.
dbk: Wie gefällt Ihnen Ihr Amt, gerade jetzt, da es um zentrale Weichenstellungen für die GAP geht?
Karl Bauer: Seit der Agenda 2000 begleite ich die GAP beruflich und privat. Als Landwirt tausche ich mich regelmäßig mit Kollegen aus, um ihre Herausforderungen zu verstehen. Die GAP-Reformen der letzten Jahre haben viel bewegt – doch nun stehen wir an einem Wendepunkt: Es geht nicht mehr nur um Weiterentwicklungen, sondern vor allem um die Stabilität für unsere Betriebe. Diese Verantwortung motiviert mich, aktiv mitzuwirken und die Vielfalt der europäischen Landwirtschaft zu sichern.
dbk: Wo liegen die zentralen Gemeinsamkeiten der rund 80 COPA-Mitgliedsverbände, um mit einer Stimme zu sprechen?
Bauer: Unsere europäischen Landwirtinnen und Landwirte – in der COPA vertreten durch ihre Verbände - sichern die Lebensmittelversorgung – unabhängig von Betriebsgröße oder Ausrichtung. Sie leisten darüber hinaus gesellschaftlich geforderte Beiträge, wenn Ökonomie, Ökologie und Soziales im Gleichgewicht stehen. Dieses Prinzip der nachhaltigen Bewirtschaftung eint uns in der COPA und ermöglicht eine gemeinsame Stimme.
dbk: Der EU-Kommission wird bisweilen nachgesagt, dass ihre Vorschläge an den Lebenswirklichkeiten der EU-Bürger vorbeigehen. Wie sehen Sie das für die EU-Landwirtinnen und -Landwirte?
Bauer: Die EU-Kommission hat auf die zurückliegenden Bauernproteste nur mit halbherzigen Vereinfachungspaketen reagiert – das hat die Lage teilweise eher verschärft, weil die versprochenen Entlastungen nicht zeitnah auf den Höfen ankommen. Ein anerkannter Berater der EU-Kommission brachte es treffend auf den Punkt: Für Umweltziele braucht es Ökologen, für die Umsetzung aber Ökonomen. Die EU-Kommission muss ihre Politik kritisch prüfen und sich stärker am Leben vor Ort ausrichten. Denn, sinkt die Produktivität in Europa, wird andernorts mehr produziert – oft ohne unsere Standards und ohne vergleichbare Kontrollen. Umweltziele dürfen nicht zulasten der Landwirtschaft gehen. Dafür braucht es fundierte Folgeabschätzungen und Marktanalysen. Nur so können Transformation und Wirtschaftlichkeit im Einklang stehen.
dbk: Wie bewerten Sie die Reformvorschläge der Kommission zum MFR ab 2028?
Bauer: Die Reformvorschläge der Kommission sind kein Entwicklungsschritt, sondern ein radikaler Systemwechsel. Statt wie bisher für eine verlässliche Finanzierung und klare Rahmenbedingungen zu sorgen, zieht sich die EU-Kommission weiter zurück und überträgt die Verantwortung auf die Mitgliedstaaten. Damit wird der Kernbereich der GAP auf wenige gemeinsame europäische Bestimmungen reduziert – zentrale Elemente der Rechtssicherheit, Planbarkeit, auch Prioritätensetzung und finanzielle Ausstattung liegen künftig in nationaler Hand. Das ist problematisch: Die bisherige Struktur mit zwei Säulen hat den Betrieben und den ländlichen Räumen Stabilität gegeben. Nun beginnt ein Wettlauf um die Mittel, denn mit dem Vorschlag der EU-Kommission fehlen rund 25 % der bisherigen EU-Gelder für die EU-Agrarförderung und die ländliche Entwicklung. Die Mitgliedstaaten sollen diese Lücke schließen, doch ob sie dazu bereit und fähig sind, hängt stark von ihrer wirtschaftlichen Lage ab. Die Finanzierung wird damit zum nationalen Kraftakt – unsicher und uneinheitlich. Diese Entwicklung gefährdet die GAP und schwächt die europäische Landwirtschaft. Was wir brauchen, ist ein verlässlicher Rahmen, der den Betrieben langfristige Perspektiven bietet – nicht ein Flickenteppich nationaler Lösungen.
dbk: Viele Vorschläge der EU-Kommission zur GAP ab 2028 (siehe Kasten) – u.a. pauschale Degression und Kappung, „Farm Stewardship“ mit kaum veränderten Konditionalitätsverpflichtungen und der Ausbau von gekoppelten EU-Direktzahlungen – befördern den europäischen Flickenteppich, stellen bewährte Instrumente infrage und minimieren die Einkommenswirksamkeit der GAP. So kritisiert es der DBV. Wo bleiben die notwendigen Signale für Gemeinsamkeit, Stabilität und Wettbewerbsfähigkeit?
Bauer: Stabilität und faire Wettbewerbsbedingungen bereiten mir große Sorgen. Statt klarer Regeln bietet die Kommission nur Empfehlungen – das gefährdet einen einheitlichen europäischen Binnenmarkt. Konfliktthemen wie Degression, Kappung oder gekoppelte Zahlungen überlagern die eigentliche Debatte. Zwar soll das Gesamtbudget für den EU-Haushalt 2028-2034 erhöht werden, doch die Landwirtschaft profitiert nicht: Die Mittel sinken, die Vorgaben bleiben streng. Begriffe wie „Farm Stewardship“ klingen zwar milder, stehen aber weiterhin für strenge Agrarverwaltung. Viele Leistungen lassen sich nicht über den Markt abbilden – das geht zulasten der Betriebe.
dbk: Die Landwirtschaft braucht einen starken europäischen Binnenmarkt mit vergleichbaren Wettbewerbsbedingungen. Wie müssen das EU-Parlament und die Mitgliedstaaten im Rat die Vorschläge der EU-Kommission korrigieren, um Zukunftsfähigkeit zu schaffen?
Bauer: Die Kommission gefährdet Stabilität und faire Wettbewerbsbedingungen, indem sie statt klarer Vorgaben nur Empfehlungen ausspricht. Ein gemeinsames Regelwerk fehlt, was den EU-Binnenmarkt gefährdet. Wichtig ist, dass das EU-Parlament und der Rat diese Defizite in den Kommissionsvorschlägen erkennen und mit Nachdruck korrigieren. Der europäische Rahmen für einen starken EU-Binnenmarkt muss im Sinne eines Level-Playing-Fields bei der GAP ab 2028 durch EU-weite einheitliche Standards bei Umwelt-, Klima- und Tierschutzleistungen sowie durch konsequenten Bürokratieabbau dafür sorgen, dass Wettbewerbsverzerrungen vermieden werden.
dbk: Wie bewerten Sie die Kommissionsvorschläge zur völligen Umstrukturierung der ländlichen Entwicklung?
Bauer: Der Vorschlag ist aus meiner Sicht klar abzulehnen – er hat das Vertrauen in die EU-Politik massiv erschüttert. Die ländliche Entwicklung basiert auf Ko-Finanzierung durch die Mitgliedstaaten und wird daher sehr unterschiedlich umgesetzt. Ihr zentrales Ziel, Zukunftsperspektiven im ländlichen Raum zu sichern, droht verloren zu gehen. Das betrifft Ausbildungschancen, Perspektiven für junge Frauen, offene Kulturlandschaften und den Landtourismus. Eine ganzheitliche Betrachtung ist entscheidend: Investitionen stärken Betriebe, sichern Produktion und fördern den Wissenstransfer – etwa bei der Anpassung an den Klimawandel. Weiterbildung schafft neue Chancen. So bleibt die Landwirtschaft ein zentraler Motor für vitale ländliche Räume – mit spürbarem Mehrwert für Stadt und Land. Aus diesem Grund gehören Landwirtschaft und die Entwicklung der ländlichen Räume auch zukünftig in der Struktur von 1. Säule und 2. Säule zusammen.
dbk: Wie schätzen Sie die Brüsseler Gemengelage in den nächsten 2 bis 3 Verhandlungsjahren mit Blick auf Parlament, Rat und Kommission ein?
Bauer: Die Verantwortung liegt nun bei Rat und Parlament. Als COPA bringen wir unsere fachliche Expertise aktiv in beide Institutionen ein, um die Interessen der europäischen Landwirtschaft zu vertreten. Jetzt braucht es eine koordinierte Initiative jener Mitgliedstaaten, die die Vorschläge der EU-Kommission ablehnen – sowohl beim MFR als auch bei der GAP. Entscheidend ist eine klare Mittelausstattung für alle Bereiche der GAP und die Rückführung agrarpolitischer Kompetenzen an die EU-Agrarminister und das EU-Parlament. Die von der Kommission vorgelegten Reformvorschläge sind in ihrer Radikalität nicht zielführend. Sie gefährden die Stabilität und Zukunftsfähigkeit der europäischen Landwirtschaft. Deshalb braucht es eine Kurskorrektur, die Planungssicherheit schafft, die Vielfalt der Betriebe berücksichtigt und die Landwirtschaft als tragende Säule des ländlichen Raums stärkt. Dafür setzen wir uns mit Nachdruck ein.
dbk: Die Bedeutung der Landwirtschaft im Kontext wachsender geopolitischer Herausforderungen hat enorm zugenommen. Wie sieht Ihre Vision für eine solche europäische Landwirtschaft aus, die dem gerecht werden kann?
Bauer: Die Coronakrise hat gezeigt, wie anfällig Lieferketten sind – besonders bei der Lebensmittelversorgung. Ernährungssicherheit ist ein Grundpfeiler Europas und zugleich Voraussetzung für Frieden. Deshalb darf Landwirtschaft nicht ausgelagert werden. Das müssen die europäischen Entscheidungsträger verinnerlichen. Unvorhersehbare Ereignisse können extreme Abhängigkeiten und politische Instabilität auslösen – wie beim arabischen Frühling, der durch Engpässe bei Grundnahrungsmitteln und drastische Preissteigerungen mit ausgelöst wurde. Meine Vision ist eine vielfältige europäische Landwirtschaft, getragen von einem breiten gesellschaftlichen Konsens für Versorgungssicherheit.
dbk: Was möchten Sie Europas Landwirten angesichts der aktuellen Herausforderungen mitgeben?
Bauer: Europa und der Binnenmarkt bieten große Chancen. Landwirtinnen und Landwirte sind Unternehmer und für sie gilt es, diese aktiv zu nutzen und aus Ideen konkrete Perspektiven und Aktivitäten zu schaffen. Klar ist: Europa braucht seine Landwirtinnen und Landwirte – mehr denn je.
Interview: Dr. Anni Neu