Die neue Bundesregierung hat sich einen echten Politikwechsel vorgenommen - mit dem Ziel, neue Wachstumskräfte freizusetzen. 100 Tage nach der Bundestagswahl 2025 war es Zeit für eine erste Standortbestimmung. Beim diesjährigen Bauerntag in Berlin disku­tierten die Fraktionsvorsitzenden der Regierungskoalition unter der Moderation von Journalist Thomas Kreutzmann über den Stand der Wirtschafts- und Agrarpolitik.

Ein Signal an die Landwirtschaft
"Kooperation statt Konfrontation" - so lautet das Versprechen des Koalitionsvertrags an die Land- und Forstwirt­schaft. Respekt, Anerkennung und verlässliche Rahmenbedingungen sollen die Grundlage bilden. Dass diese Wor­te Substanz haben, betonte Steffen Bilger, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, der kurzfristig für seinen Vorsitzenden Jens Spahn einsprang. Zu lange sei Landwirtschaft vor allem als Problem diskutiert worden. Umso wichtiger sei das klare Bekenntnis im Koalitionsvertrag gewesen: "Wir wollen Landwirtschaft unterstützen." Die Rücknahme der Kürzungen beim Agrardiesel sei ein bewusstes Signal: "Wir haben verstanden."

Unversöhnlichkeiten überwinden
Auch SPD-Fraktionsvorsitzender Dr. Matthias Miersch be­tonte die Notwendigkeit eines neuen Miteinanders. Ziel sei es, "Unversöhnlichkeiten aufzulösen". Der Niedersächsische Weg, die Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) und die Borchert-Kommission seien gute Grundlagen, auf denen aufgebaut werden könne. Allerdings vermisse er konkrete Umsetzungsvorschläge - auch vom Deutschen Bauernverband. Die Politik brauche Impulse, wie eine zukunftsfähige Landwirtschaft aussehen könne. Miersch warnte vorzunehmender Polarisierung im digitalen Zeitalter: "Wir brauchen eine starke, gut funktionierende Landwirtschaft" - aber sie müsse auch den Erwartungen der Gesellschaft gerecht werden.

Entbürokratisierung: ja, aber...
Beim Thema Bürokratieabbau stellte Miersch die Frage: "Was ist Bürokratie?" Es gelte jetzt erst einmal, Überregulierung gezielt zu identifizieren. Unzumutbar sei es, wenn Betriebe dieselben Daten mehrfach an verschiedene Behörden melden müssten. Eine einmalige Datenabgabe müsse ausreichen. Auch bei Steuervereinfachungen sei der Koalitionsvertrag eher als Absichtserklärung, denn als Betriebsanleitung zu verstehen - angesichts der ungewissen Zukunft. Miersch warb um Vertrauen: Der Koalitions­vertrag atme „den Geist, dass wir verstanden haben, dass sich etwas ändern muss".

Vertrauen schaffen - klare Regeln
Bilger hingegen forderte mehr Vertrauen in Bürger und Unternehmen - basierend auf klaren Regeln und konse­quenter Sanktionierung bei Verstößen. Die Politik sei in der Pflicht, beim Bürokratieabbau endlich zu liefern: "Die Zeit für Sonntagsreden ist vorbei." Mit dem neuen Ministerium für Digitalisierung und Staatsmodernisierung sei ein wichtiger Schritt getan. Bundesminister Rainer habe be­reits erste Maßnahmen umgesetzt: Die Stoffstrombilanz wurde abgeschafft, das Tierhaltungskennzeichnungsgesetz wird überarbeitet und zahlreiche Meldepflichten wurden gestrichen.

Wirtschaftsförderung im ländlichen Raum und Stallumbau
Auch der ländliche Raum soll vom Sondervermögen für Infrastruktur profitieren - das bestätigte Steffen Bilger. Be­sonders der Stallumbau stehe dabei im Fokus. Entscheidend sei nun, dass die bereitgestellten Mittel zügig abfließen.

SPD-Fraktionsvorsitzender Dr. Matthias Miersch betonte hingegen, dass es eine breitere Debatte brauche: Die jähr­lich vorgesehenen 1,5 Milliarden Euro reichten nicht aus. Der Stallumbau sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die eine langfristig verlässliche Finanzierung erfordere. Der Koalitionsvertrag biete dafür neue Instrumente - auch jenseits des Sondervermögens, etwa den Deutschland­fonds. Wichtig sei vor allem auch Planungssicherheit­ über Parteigrenzen und Legislaturperioden hinweg.

Erhalt der Agrardieselförderung
Miersch stellte klar, dass er nicht zu denen gehöre, die alle Entscheidungen der Ampel rückgängig machen wollen - auch nicht beim Agrardiesel. Bei jeder Steuersenkung müs­se die Finanzierung gesichert sein. Daher stehe der Finanzierungsvorbehalt im Koalitionsvertrag. Gemeinsam mit Fachleuten habe man geprüft, welche Maßnahmen der Wirtschaft schnell helfen und Investitionen anstoßen - daraus sei der sogenannte lnvestitionsbooster entstanden.

Bilger sieht den lnvestitionsbooster als wichtigen ersten Schritt, um allen Unternehmen - auch kleinen Betrieben und der Landwirtschaft - bessere Rahmenbedingungen zu bieten. Die Wirtschaftspolitik der neuen Bundesregierung zeige bereits Wirkung: Die Konjunkturdaten seien nach oben korrigiert worden, die Stimmung im Land habe sich verbessert. Sein Fazit: Das Vertrauen in Deutschland als Investitionsstandort wachse wieder.

Steuerliche Risikoausgleichsrücklage - ungewisse Aussichten
Wenig optimistisch zeigte sich Bilger beim Thema Risiko­ausgleichsrücklage. Zwar habe die Landwirtschaft gute Argumente für dieses steuerliche Instrument, doch die politischen und finanziellen Hürden seien hoch. Am Ende werde immer ums Geld gerungen, so Bilger.

15 Euro Mindestlohn - mit Ausnahmen?
Miersch bekräftigte seine Unterstützung für den gesetzli­chen Mindestlohn und stellte die Zielmarke von 15 Euro als nicht verhandelbar dar. Für Saisonarbeitskräfte habe man im Koalitionsvertrag Ausnahmen bei Kost und Logis vereinbart - weitere Ausnahmen seien EU-rechtlich nicht möglich. Die Union hingegen hält zusätzliche Ausnahmen für sinnvoll, um den regionalen Anbau zu sichern. Entschei­dend seien Rahmenbedingungen, die die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Landwirtschaft erhalten.

Koalitionsklima: konstruktiv statt konfrontativ
Bilger betonte die Bedeutung einer konstruktiven Zusammenarbeit in der Koalition. Die Menschen hätten genug vom Dauerstreit der Ampel. "An uns wird es nicht schei­tern", versicherte er. Mit Blick auf die Zusammenarbeit zwischen Landwirtschafts- und Umweltministerium zeigte er sich zuversichtlich: Bundesminister Carsten Schneider sei ein pragmatischer Partner. Die ersten 50 Tage der neuen Regierung seien vielversprechend verlaufen. Die Union werde alles dafür tun, dass im Sinne der Menschen regiert werde. "Wir sind vertragstreu - die Menschen können sich auf den Koalitionsvertrag verlassen."

Brücken bauen - auch gegen politische Extreme
Ob das Ziel von Bundeskanzler Merz, die AfD „wegzuregie­ren", erreicht werden könne, ließ Miersch offen. Klar sei aber: Nur mit guter Regierungsarbeit und gegenseitigem Respekt könne und müsse das Vertrauen in die Demokratie gestärkt werden. Für die Landwirtschaft bedeute das, unterschiedli­che Interessen zusammenzubringen und Brücken zu bauen - eine Aufgabe für die gesamte Gesellschaft und Politik.

Dr. Anni Neu