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Udo Hemmerling
stellv. Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes
Foto: Breloer/DBV

Die Berliner Ampelkoalition erreicht in diesem Herbst die Halbzeit ihrer üblichen Regierungsdauer. Dieser Standpunkt will nicht Bilanz ziehen, sondern einen agrarpolitischen Ausblick auf die kommenden beiden Jahre dieser Ampel-Bundesregierung wagen. Die Situation für agrarpolitische Gestaltung im Sinne der Ampel-Politik bzw. im Sinne eines grün geführten Bundeslandwirtschaftsministeriums ist durchaus kompliziert. Der große Vertrauensverlust der Bürger in die Bundesregierung geht auch an der Agrarpolitik nicht vorbei. In Zeiten von Inflation und unsicherer Wirtschaftslage bekommt etwa die Frage nach der Bezahlbarkeit des Umbaus der Tierhaltung ein ganz anderes Gewicht. Insgesamt bewegt sich die Zufriedenheit der Bürger mit der Bundesregierung derzeit klar am unteren Ende, wie der „ARD-Deutschlandtrend“ zeigt.

Kein Geld mehr für neue Projekte
Im Bundesagrarhaushalt wird ab 2024 schlicht kein Geld für größere agrarpolitische Projekte mehr vorhanden sein. Die Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz soll um etwa ein Viertel (293 Millionen Euro Bundesmittel) gekürzt werden. Schon im Juli/August 2023 mussten sieben Bundesländer Förderstopps für geplante Agrarumweltmaßnahmen, Investitionsförderungen oder Dorfentwicklungsmaßnahmen bzw. Flurneuordnungsmaßnahmen verkünden. Die Bremsspuren der GAK-Kürzungen werden in den ostdeutschen Bundesländern besonders drastisch sein. Auch das Zukunfts- und Investitionsprogramm für effiziente Düngung und Pflanzenschutz soll im Jahr 2024 um 57 Millionen Euro gekürzt werden. Aber vielleicht besinnen sich noch die Haushälter im Bundestag und finden alternative Finanzierungswege für die GAK – etwa über den Klima- und Transformationsfonds.

Stillstand bei Klimaschutzmaßnahmen für die Landwirtschaft
Besonders bitter ist es, dass damit Stillstand bei den Klimaschutzmaßnahmen in der Landwirtschaft eintritt, insbesondere bei der Reduktion der Methan- und Lachgasemissionen. Von Unterstützung bei der Anpassung an den Klimawandel zum Beispiel durch Bewässerungsmaßnahmen und Ernteversicherungen wird gar nicht mehr gesprochen. Die 4 Milliarden Euro aus dem neuen Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz des Bundesumweltministeriums werden voraussichtlich zu weiten Teilen an der aktiven Landwirtschaft vorbeifließen. Der DBV versucht mit dem Projekt zur Humusbildung im Ackerbau gemeinsam mit dem BÖLW dagegen ein Licht anzuzünden. Doch das derzeitige Bundeslandwirtschaftsministerium wird das Thema „Carbon Farming“ eher skeptisch und passiv aussitzen.

GAP-Förderung: Schere zwischen Anspruch und Realität
In der GAP-Förderpolitik wird die Schere zwischen „grünem“ Veränderungsanspruch und der Realität „draußen“ größer und drängender werden: Auch 2024 werden die Öko-Regelungen floppen und ein erheblicher Teil des dafür vorgesehenen Budgets von 1 Milliarde Euro nicht abgerufen werden. Eventuell setzt sogar ein Exodus aus der Basisprämie ein, weil viele Landwirte die Lasten und Risiken aus einer Pflichtbrache von 4 Prozent und weiteren fachlich widersinnigen Bewirtschaftungsauflagen nicht mehr ertragen wollen. Dies kontrastiert dann mit agrarpolitischen Bekundungen der Ampel nach weiterer Umweltorientierung in der GAP-Förderung. Tatsache ist: Die Bundesregierung wird es auch bis 2025 nicht hinbekommen, die Öko-Regelungen hinreichend attraktiv zu machen. Vor allem die Grünlandbauern werden immer weiter bis nach der Bundestagswahl vertröstet.

Wolf: Trippeln auf der Stelle
Beim Schutz der Weidetierhaltung vor dem Wolf wird es durchaus ernsthafte Anläufe geben, die Entnahme von Problemwölfen einfacher zu gestalten. Doch die Realität ist inzwischen eine ganz andere: Der Wolfsbestand ist exponentiell schon auf über 2.000 Tiere gewachsen, was eine aktive Bestandsregulierung nötig macht. Doch genau diese notwendige Bestandsregulierung wird das Bundesumweltministerium versuchen auszusitzen.

Deutsche Enthaltungspolitik im EU-Ministerrat
Im EU-Ministerrat stehen bis zum Frühjahr 2024 spannende Positionierungen und Abstimmungen zu wichtigen EU-Dossiers an. Dazu gehören die Verlängerung der Zulassung von Glyphosat, die Positionierung zu den neuen Züchtungsmethoden und die Industrieemissionsrichtlinie mit der Festlegung der Schwellenwerte für die BImSchG-Prüfung von Tierställen. Mit ihrer weitgehend vorbehaltsfreien Zustimmung zu den Kommissionsvorschlägen zum Pflanzenschutzmitteleinsatz (SUR) und zur Naturwiederherstellung (NRL) ist die Bundesregierung im Ministerrat weitgehend isoliert. Weil die Positionen zu diesen Themen innerhalb der Bundesregierung oft deutlich auseinanderliegen, wird die Bundesregierung sich im Ministerrat meistens enthalten müssen. Diese Unentschiedenheit bzw. Selbstblockade innerhalb der Bundesregierung wird den politischen Einfluss Deutschlands in der EU mindern. Gleichzeitig wird die derzeitige EU-Kommission wichtige Anliegen Deutschlands wie ein modernisiertes Binnenmarktrecht für eine Herkunfts- und Haltungskennzeichnung bei Fleisch nicht mehr aufgreifen. Hier muss die Neubildung der EU-Kommission Ende 2024 abgewartet werden.

Der Ausgang der Europawahlen im Juni 2024 ist völlig offen. Eine erneute Mehrheit im Europäischen Parlament für Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin erscheint aber aus heutiger Sicht fraglich. Dann wird die Bundesregierung als nächsten deutschen Kommissar bzw. als nächste deutsche Kommissarin eine/-n Vertreter/-in der Grünen entsenden, so steht es im Ampel-Koalitionsvertrag. Einen Mercosur-Handelsvertrag wird es wegen wachsender Differenzen mit der EU auf absehbare Zeit wohl nicht geben bzw. wird ein solcher nicht zur Ratifizierung im Europaparlament und in den Mitgliedstaaten gestellt werden.

Tierhaltung: Kontroversen um Wettbewerbsfähigkeit
Nachdem klar geworden ist, dass es keine ausreichende staatliche Finanzierung für den Umbau der Tierhaltung geben wird, werden Fragen der klassischen Wettbewerbsfähigkeit wieder stärker in den Fokus rücken. Das BMEL wird an mehreren Stellen nationale Alleingänge bei den Tierhaltungsanforderungen versuchen, sei es bei Puten, bei Schweinen oder bei der Anbindehaltung von Rindern. Doch die dafür notwendige „grüne Mehrheit“ im Bundesrat fehlt, so dass es zu unübersichtlichen politischen Verhandlungssituationen kommen kann, bei denen viel für die Tierhalter auf dem Spiel steht. Dabei wird die verborgene Agenda des BMEL in Richtung einer Halbierung der deutschen Tierhaltung immer wieder durchscheinen. Insgesamt wird damit die Debatte um die Weiterentwicklung der Tierhaltung wieder kontroverser werden. Umso wichtiger wird eine erneute Belebung der Initiative Tierwohl als Brancheninitiative sein. Die Schweine- und Geflügelhalter werden die Umstiegspläne des LEH auf Haltungsstufe 3 und 4 beim Wort nehmen und im Rahmen des finanziell Möglichen den Weg zum Umbau der Tierhaltung weitergehen.

Wenig pragmatische Fachlichkeit bei Düngung und Pflanzenschutz
Bei den Regeln für Pflanzenschutz und Düngung wird sich diese Bundesregierung trotz des beigelegten Vertragsverletzungsverfahrens in Sachen EU-Nitratrichtline/Düngeverordnung wegen der deutlich unterschiedlichen Ansätze von SPD, Grünen und FDP kaum auf pragmatische Erleichterungen einigen können. Obwohl von vielen Seiten gefordert, wird es keine einzelbetrieblichen Auswege aus dem Gebot der Düngung von 20 Prozent unter Bedarf in roten Gebieten geben. Das Frustlevel der landwirtschaftlichen Praktiker über nicht praxisgerechte Regeln wird also weiter im roten Bereich bleiben. Zugleich werden sich die realen Düngesalden und die Kennziffern für den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln weiter rückläufig entwickeln, was die politischen und medialen Zuspitzungen etwas entspannt. Das eröffnet einen politischen Raum für die Etablierung brancheneigener Reduktions- und Effizienzinitiativen nach dem Vorbild des Biodiversitätsstärkungsgesetzes Baden-Württembergs oder nach dem niedersächsischen Weg.

Fazit
Die Ampelkoalition wird in den beiden kommenden Jahren keine finanziellen Spielräume für ihre Projekte mehr haben. Umso wichtiger wird wieder der Fokus auf die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft werden. Die Veränderungs- und Anpassungsprozesse in der Tierhaltung, im Klimawandel und in der Integration des Biodiversitätsschutzes in die Landwirtschaft werden weitergehen. Vieles wird aber weiter auf die Zeitschiene geschoben, so dass die Ungewissheit für die landwirtschaftlichen Betriebe sich nicht wirklich lösen kann.