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Bernhard Krüsken Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes Foto: Breloer/DBV

Die DBV-Mitgliederversammlung hat den Weg für die Berufung einer Vizepräsidentin frei gemacht und den Startschuss für den Prozess „Zukunftsbauer“ gegeben. Der DBV wird beauftragt, zusammen mit den Landesverbänden die weitere Umsetzung und neue Ideen auf den Weg zu bringen, die ein gewandeltes Selbst- und Rollenverständnis zum Ausdruck bringen. Dieses neue Selbst- und Rollenverständnis soll auch zur Grundlage für die politische Arbeit und Kommunikation des Verbandes gemacht werden.

Aus „Veränderung gestalten“ wird der „Zukunftsbauer“
Für Landes- und Kreisverbände soll ein Werkzeugkasten entwickelt werden, mit dem dieses Konzept (das in dieser Ausgabe beschrieben wird) verbreitet und vor Ort mit den Mitgliedern umgesetzt werden kann. Wir alle kennen die perspektivlose Tretmühle der polarisierten gesellschaftlichen Debatte um Landwirtschaft und Ernährung, die ritualisiert mittelschlaue Landwirtschaftskritik und die frustrierende Ergebnislosigkeit dieser Kontroverse. Auswege aus der Sackgasse waren und sind dringend gesucht - die Zukunftskommission Landwirtschaft ist einer davon und die Idee Zukunftsbauer ein weiterer, für den die Etappen nun abgesteckt werden. Aus Veränderung gestalten wird der Zukunftsbauer. Veränderungen beginnen im Kopf; deshalb befassen sich die ersten Bausteine mit Selbstverständnis und mit dem Landwirt als Netzwerker. Der Zukunftsbauer ist keine Hochglanz-Imagekampagne mit Werbespots vor der Tagesschau, sondern ein neues Rollenverständnis.

GAP: Anpassung im Kriechgang
In der praktischen Agrarpolitik gehen hingegen die Uhren deutlich langsamer. Würde man für die Gesamtheit von EU-Kommission, Bund und Ländern ein Arbeitszeugnis für die Umsetzung des Projektes GAP-Reform schreiben müssen, dann müsste man nach einer diplomatischen Formulierung suchen. Die Agrarministerkonferenz Ende Juli hat dieses Gesamtbild nochmals bestätigt, indem sie wieder einmal keine abschließende Entscheidung für die GAP-Regeln der bereits begonnenen Anbausaison getroffen hat. Jeder einzelne Akteur in diesem Konzert mag Begründungen und Ausflüchte finden, warum es nicht machbar war und dass die jeweils anderen dafür verantwortlich waren. Für die „Rechtsunterworfenen“ und für alle, die mit diesen Regeln arbeiten und sie umsetzen müssen, war die Fortsetzung der Verzögerung durchaus eine Zumutung. Immerhin hat Minister Özdemir nach langen Diskussionen offiziell vorgeschlagen, die Verpflichtungen zur Stilllegung und zur Fruchtfolge ein Jahr auszusetzen - ein richtiger Schritt, obwohl sich das Thema Versorgungssicherheit mit Sicherheit nicht in einem Jahr verändern wird. Nun bleibt abzuwarten, ob die Bundesländer ihren blumig protokollierten Willen zum gemeinsamen Strategieplan im noch anstehenden Bundesratsverfahren auch tatsächlich umsetzen werden.

Angespannte Versorgungssituation wird bleiben
Diese Diskussion zeigt, dass die sprichwörtliche Zeitenwende immer noch nicht so ganz in der praktischen Agrarpolitik angekommen ist. Wird der BMEL-Vorschlag umgesetzt, dürfte auf mindestens 200.000 Hektar direkt oder indirekt Lebensmittelerzeugung wieder möglich sein. Das wird die bekanntlich angespannte Versorgungssituation kurzfristig etwas entschärfen, aber nicht dauerhaft und nachhaltig auflösen. Und es bleibt noch nicht unerheblicher Diskussionsbedarf: Erzeugung und Flächennutzung, Märkte und Warenströme funktionieren nach dem Prinzip kommunizierender Röhren; landwirtschaftliche Erzeugung arbeitet immer mit Nutzungskaskaden und Koppelprodukten. Trotzdem ist das populistische Schwadronieren nach dem Motto „Tierhaltung und Bioenergie abschaffen“ immer noch Bestandteil der Kritik am BMEL-Vorschlag und an den Vorschlägen aus der Landwirtschaft. Der Kern des Problems liegt nicht in der Frage, ob man Tiere füttert, Biomasse energetisch nutzt oder einige 100.000 Hektar mehr oder weniger Anbau in Europa beim Welternährungsproblem helfen, sondern in der überholten Grundannahme, dass stumpfes Stilllegen von Flächen eine dauerhaft sinnvolle Lösung sein kann. Natürlich sind die Aufgaben beim Schutz von Klima und Artenvielfalt nicht am 24. Februar 2022 verschwunden. Aber sie müssen besser und intelligenter mit der alten, aber neu ins Bewusstsein gerückten Aufgabe Versorgungssicherheit kombiniert werden. Deshalb werden wir diese Diskussion in einem Jahr sicherlich wiederholen. Es gilt, die europäische Erzeugung nicht auszulagern, sondern zu stärken! Wer in der Sonntagsrede von der Zeitenwende redet, muss auch in der Agrarpolitik konsequent sein.

Haltungsformkennzeichnung: Fehlstart droht
Ein weiteres Projekt macht eine unglückliche Figur. Das im Koalitionsvertrag versprochene Konzept für den Umbau der Tierhaltung ist nicht in Sicht. Der erste Schritt sollte die Haltungsformkennzeichnung sein; ein Vorhaben, dass die Landwirtschaft unterstützt und eingefordert hat. Nun liegen endlich konkrete Entwürfe vor, die aber solche Lücken und Fehler enthalten, dass man die Unterstützung in Frage stellen muss. Die im Moment sichtbare Liste der Defizite ist länger und lässt einen Fehlstart erwarten. Ausgerechnet denjenigen, denen die Kennzeichnung helfen soll – nämlich den deutschen Tierhaltern – wird sinnlose und unverhältnismäßige Bürokratie aufgebürdet, während die übrigen Akteure in der Kette eingeladen werden, das System zu unterlaufen und unbelastet von Kontrollen kreativ zu etikettieren. Das Tierhaltungskennzeichen ist alles andere als umfänglich und beschränkt sich auf frisches Schweinefleisch und auf die Mast. Daraus resultiert ein immenses Glaubwürdigkeitsproblem, weil z.B. Fleisch von Tieren, die als Ferkel außerhalb von Deutschland betäubungslos kastriert worden sind, mit einer hohen Haltungsstufe gekennzeichnet werden kann. Vorgesehen ist außerdem massiver bürokratischer Aufwand in Form eines separaten Betriebsregisters. Es ist unverständlich, warum nicht auf das bestehende System der VVVO-Nummern und auf die HIT-Datenbank zurückgegriffen wird. Ausländische Betriebe sollen lediglich mit einer unverbindlichen Selbstauskunft am System teilnehmen können. Noch unverständlicher ist, dass es kein belastbares Kontrollkonzept und keine Kontrollsystematik für die nachgelagerten Stufen der Fleischwirtschaft und für ausländische Betriebe gibt. Manipulationen werden dort sehr einfach möglich sein. Es dürfte nicht lange dauern, bis die ersten Betrugsfälle öffentlich vorgeführt werden. Es bleibt also zu hoffen, dass im parlamentarischen Verfahren grundsätzliche Korrekturen stattfinden – sonst kann man sich die Übung besser sparen.